Erste S3-Leitlinie: So wird Hodenkrebs behandelt

Erstmals gibt es eine deutschsprachige Behandlungsleitlinie für Hodenkrebs
Hodenkrebs ist der häufigste Tumor bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren. Mit 4.000 Neudiagnosen pro Jahr ist der Krebs in Deutschland jedoch eher selten. Ein Urologe sieht vielleicht einen neuen Patienten pro Monat. Gerade bei sehr jungen Männern sind Ärzte geneigt, etwas großzügiger mit der Chemotherapie umzugehen, als es unbedingt erforderlich wäre und die aktuelle Studienlage hergibt. In der Fachwelt nennt sich das Übertherapie. Mit dem Erscheinen der ersten deutschsprachigen S3-Leitlinie Hodenkrebs soll sich das jetzt ändern.
Mehr Sicherheit für behandelnde Ärzte
Eine Leitlinie ist ein formalisierter Prozess, an dem alle Fachgesellschaften, die mit Hodenkrebs-Patienten zu tun haben, gemeinsam den besten Stand des Wissens in Behandlungsgrundsätzen formulieren. Nach Auskunft von Prof. Sabine Kliesch, die die erste Leitlinie koordiniert hat, soll der neue Behandlungsleitfaden dem Arzt Sicherheit geben.
„Angenommen, ich habe einen Fall eines Hodentumors, bei dem der Patient glücklicherweise noch keine Metastasen hat. Aber vielleicht einen Gewebetyp, der nicht so häufig ist, so konnte ohne Leitlinie Unsicherheit oder Rückfragen entstehen. Jetzt können die behandelnden Kollegen konkret in der Leitlinie nachlesen, wohin die Reise gehen soll“, sagt die Chefärztin vom Universitätsklinikum Münster. So könnten Ärzte auch bei frühen Stadien, in denen es noch keine Metastasen gibt, auf eine engmaschige Überwachung setzen und müssten nicht sofort eine radikale Sicherheitstherapie machen.
Hodenkrebs hat eine gute Prognose
Hodenkrebs hat eine gute Prognose. Mehr als 80 Prozent der Männer werden geheilt. Doch nur dann, wenn am Anfang der Diagnosestellung keine Fehler passieren. „Die sind dann fast nicht mehr zu korrigieren – insbesondere bei den fortgeschrittenen Stadien“, sagt Kliesch. „Es ist wichtig, dass da nichts verpasst wird.“
Für die übrigen zwanzig Prozent der Fälle, in denen der Hodenkrebs schon weit fortgeschritten ist, gibt die Leitlinie eine klare Empfehlung: In diesen Fällen sollte man sich an eines der großen Zentren wenden, die Erfahrung mit dem Krankheitsbild haben.
Die Leitlinie formuliert auch, welche Patienten besonders von einer Zweitmeinung profitieren. Laut Kliesch sollte das Zweitmeinungsportal für Hodenkrebs auch gerade bei den niedrigen Stadien genutzt werden. „Um dann die richtigen Schritte zu gehen und die Patienten nicht unnötig zu therapieren. Aber natürlich auch nichts zu verpassen“, so Kliesch.
Kinderwunsch auch für Männer ein Thema
Da Hodenkrebs meist in einem Alter eintritt, in dem viele Männer noch einen Kinderwunsch haben, berücksichtigt die Leitlinie auch fruchtbarkeitserhaltende Aspekte. Diese sollten bei jeder Beratung im Vordergrund stehen. „Eine bösartige Erkrankung muss entsprechend behandelt werden. Bei jungen Männern muss man aber gleichzeitig an die Kryokonservierung von Spermien denken, also das Einfrieren von Samenzellen, um einen späteren Kinderwunsch möglich zu machen“, betont Urologin Kliesch. Nach der aktuellen Gesetzesänderung haben künftig auch Hodenkrebs-Patienten einen Anspruch auf diese Maßnahme.
Foto: pixabay