Erblicher Bluthochdruck: Berliner Forscher lüften Rätsel um seltene Erbkrankheit
Unterschiedlicher könnten die beiden Krankheiten kaum sein. Extremer Bluthochdruck und Kurzfingrigkeit treffen in manchen Familien zusammen und werden von Generation zu Generation vererbt. Und doch beruhen beide auf ein und demselben Gendefekt, wie Forscher der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) jetzt herausfanden. Dank einer Ganzgenomsequenzierung mehrerer Betroffener aus sechs nicht miteinander verwandten Familien konnten die Wissenschaftler nun das PDE3A-Gen und sechs unterschiedliche Mutationen als Verursacher der extrem seltenen Erbkrankheit identifizieren. Die Mutationen des Gens sorgen offenbar dafür, dass sich die Gefäßmuskelschicht und die Blutgefäße verengen und versteifen, was den Blutdruck in die Höhe treibt. Neben der Gefäßwandveränderung konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass durch den Gendefekt in Gang gesetzter Mechanismus zu einer erhöhten Kontraktion der Blutgefäße führt.
Neue Form des Bluthochdrucks: Salz und Niere spielen keine Rolle
„Wir haben in unserer Studie gezeigt, dass für die Entstehung dieser genetisch vererbbaren Form des Bluthochdrucks ausschließlich die Blutgefäße von Bedeutung sind und nicht direkt die Niere“, betont PD Dr. Sylvia Bähring vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Forschungseinrichtung von Charité und MDC. Damit haben die Wissenschaftler den ersten vererbten von Salz unabhängigen Bluthochdruck entschlüsselt. Bisher ging die Forschung davon aus, dass zu viel Salz in der Nahrung die Nieren schädigt und damit den Blutdruck in die Höhe treibt.
Dass es bei dieser seltenen Erbkrankheit gleichzeitig zu Fehlbildungen am Skelett kommt, können die Wissenschaftler ebenfalls mit dem Gendefekt erklären. Demnach stört der Mangel des sekundären Botenstoffs cAMP (Cyclisches Adenosinmonophosphat) in der Zelle, der auch zu einer Verdickung der Gefäßwand führt, empfindlich das Knorpelwachstum. Das führt dann zur Verkürzung der Mittelhand- und Mittelfußknochen und damit zur Verkürzung von Fingern und Zehen. Wissenschaftler nennen das Brachydaktylie. „So kann eine Punktmutation durch die Veränderung der zellulären Signalweitergabe in einem Menschen zwei unterschiedliche Krankheiten hervorrufen“, erläutert Bähring. Das Krankheitsbild war erstmals 1973 von dem türkischen Arzt Prof. Nihat Bilginturan beschrieben worden. Ihm war aufgefallen, dass in einer Großfamilie an der Schwarzmeerküste einige Mitglieder mit verkürzten Fingern und Zehen schon in jungen Jahren einen sehr hohen Blutdruck haben und relativ früh sterben.
Forschung begann 1994 in der Türkei
1994 hatte dann die Forschergruppe um Professor Friedrich C. Luft vom MDC damit begonnen, die geheimnisvolle Erkrankung an einer Familie in der Türkei zu erforschen. Bereits zwei Jahre später konnten die Forscher die Chromosomenregion einkreisen, innerhalb der das "Krankheitsgen" zu finden sein musste. Sie lag auf einem Abschnitt von Chromosom 12 und war geschätzte 10 Millionen Basenpaare groß. Weil es damals aber weder die modernen Methoden der Gensequenzierung noch die umfangreichen Gendatenbanken gab, dauert es fast 20 Jahre, bis das Rätsel nun entschlüsselt werden konnte.
Unbehandelt führt der Bluthochduck, der bei den Betroffenen im Schnitt bei 190 zu 140 liegt –140 zu 90 ist bereits eine milde Hypertonie - noch vor dem 50. Lebensjahr zum Tod. Die Betroffenen sterben meist an einem schweren Schlaganfall.
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