Vor einigen Jahren kamen mehrere Studien zu dem Ergebnis, dass bestimmte moderne Antidepressiva die Suizidgedanken von Minderjährigen verstärken können. Betroffen waren Medikamente der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Begründet wurde das Ergebnis mit dem sogenannten Aktivierungssyndrom, das vor der eigentlich beabsichtigten antidepressiven Wirkung der Medikamente einsetzt. Man vermutete, dass die Betroffenen dadurch unter Umständen erst den nötigen Energieschub erhielten, um ihre Suizidgedanken in die Tat umzusetzen. Seitdem waren Ärzte angehalten, die Medikamente bei Minderjährigen nur mit grösster Vorsicht zu verschreiben und die Patienten in der Folge genau zu beobachten.
Suizidrisiko bei Minderjährigen und moderne Antidepressiva
Zum Erstaunen der Fachwelt wurden nun in einer aktuellen Metaanalyse, in der die Ergebnisse von 41 Studien zu den Wirkstoffen Fluoxetin und Venlafaxin ausgewertet wurden, keine Hinweise darauf gefunden, dass moderne Antidepressiva das Suizidrisiko bei Minderjährigen erhöhen. Die Forscher werteten hierfür zum Teil noch nicht veröffentlichte Originaldaten früherer Studien aus und betrachteten auch die langfristigen Verläufe bei allen Patientengruppen.
Rätsel gibt allerdings eine Tatsache auf, die schon vor der aktuellen Studie bekannt war und durch diese noch einmal bestätigt wurde. Auch wenn die modernen Antidepressiva das Suizidrisiko bei Jugendlichen nicht zu erhöhen scheinen, so senken sie es - anders als bei Erwachsenen - auch nicht. Die depressiven Symptome gehen zwar mit der Einnahme der Medikamente in signifikanter Weise zurück, doch hat dies offenbar keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Suizidgedanken und -handlungen.
Depression und Suizidalität
Während es bei Erwachsenen eine klare Korrelation zwischen Depression und Suizidgedanken gibt und mit der Minderung der depressiven Symptomatik auch die Selbsttötungsgefahr sinkt, ist dieser Zusammenhang bei Minderjährigen also nicht gegeben. Offensichtlich liegt der Suizidalität bei Minderjährigen noch ein anderer Mechanismus zugrunde als bei Erwachsenen. Dies zeigt einmal mehr, dass das Phänomen Suizidalität sehr komplex und noch längst nicht ausreichend erforscht ist.