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Empathie und Perspektivübernahme: Wie soziale Fähigkeiten entstehen

Samstag, 26. Dezember 2020 – Autor: anvo
Empathie und die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einnehmen können, gelten als besonders wichtige soziale Kompetenzen. Wissenschaftler haben nun festgestellt: Beide Fähigkeiten setzen sich aus vielen Einzelfaktoren zusammen, die sich je nach Situation unterscheiden.
Empathie, Perspektivwechsel, soziale Kompetenzen, Netzwerke

Bei Empathie und Perspektivübernahme wirken unterschiedliche neuronale Netzwerke zusammen – Foto: ©Matthieu - stock.adobe.com

Die sozialen Kompetenzen Empathie, also die Fähigkeit, sich in die Emotionen des anderen hineinfühlen zu können, sowie die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, also die Pläne und Absichten eines anderen nachvollziehen zu können, sind bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Forscher versuchen daher seit langem herauszufinden, was die Grundlage dieser Kompetenzen ist. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun gemeinsam mit Kollegen der Oxford-University frühere Studien ausgewertet und ein Erklärungsmodell entwickelt, das zeigt: Es ist nicht eine konkrete Kompetenz, die uns dazu befähigt, uns in eine andere Person hineinzuversetzen. Beide Fähigkeiten setzen sich aus vielen Einzelfaktoren zusammen, die je nach Situation unterschiedlich sein können.

Unterschiedliche soziale Situationen erfordern unterschiedliche Kompetenzen

Die Emotionen einer Person an ihren Augen ablesen, eine lustige Geschichte verstehen oder die Handlungen einer anderen Person nachvollziehen zu können – im Alltag ergeben sich ständig andere soziale Herausforderungen, die alle diese beiden großen Gesamtkompetenzen erfordern. Im Detail benötigen sie aber jeweils eine Kombination verschiedener einzelner untergeordneter Fertigkeiten. Ist es für die eine Situation notwendig, Blicke und Mimik zu interpretieren, ist es in der anderen eher von Nöten, den kulturellen Hintergrund des Erzählers mitzudenken oder seine aktuellen Bedürfnisse zu kennen.

„Das Gehirn besitzt zwei allgemeine Fähigkeiten für das Manövrieren in der sozialen Welt. Die Empathie ist gefühlsbasiert und hilft uns, an den Emotionen des anderen teilzunehmen. Die zweite, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, ist ein komplexer Denkprozess, der dazu dient, sich die Umstände des anderen vorzustellen und darüber nachzudenken, was diese Person denken könnte“, erklärt Philipp Kanske, Research Associate am MPI CBS. „Diese beiden abstrakten Fähigkeiten zum Eindenken und Einfühlen in Andere setzen sich wiederum aus verschiedenen Bausteinen zusammen.“

Austausch zwischen verschiedenen Netzwerken im Gehirn

Sein Forscherteam fand heraus, dass beide Kompetenzen jeweils von einem auf Empathie oder Perspektivwechsel spezialisierten ‚Hauptnetzwerk‘ im Gehirn verarbeitet werden. Dabei werden je nach Situation zusätzliche Netzwerke hinzugezogen.

Für Empathie arbeitet ein Hauptnetzwerk, das akut bedeutsame Situationen erkennen kann, indem es etwa Angst verarbeitet, mit spezialisierten zusätzlichen Regionen, beispielsweise für Gesichts- oder Spracherkennung zusammen. Beim Wechseln der Perspektive sind als Kernnetzwerk die Regionen aktiv, die auch beim Erinnern an Vergangenes oder dem Fantasieren über Zukünftiges zum Einsatz kommen, also bei Gedanken, die sich mit aktuell nicht beobachtbaren Dingen befassen. Auch hier schalten sich in den konkreten Situationen jeweils zusätzliche Hirnregionen hinzu.

Wenn Gefühle und Gedanken zusammenwirken

Durch ihre Auswertungen haben die Forscher außerdem herausgefunden: Gerade die besonders komplexen sozialen Probleme erfordern eine Kombination aus Empathie und Perspektivwechsel. Personen, die besonders sozial kompetent sind, scheinen demnach andere auf beide Arten zu betrachten, also auf der Grundlage von Gefühlen und auf der von Gedanken. In ihrem Urteilsvermögen finden sie dann die richtige Balance aus beidem.

„Unsere Analyse zeigt aber auch, dass Mangel an einer der beiden Sozialkompetenzen auch bedeuten kann, dass nicht die Kompetenz als Ganzes begrenzt ist. Womöglich ist nur ein bestimmter Teilfaktor betroffen, etwa das Verständnis von Mimik oder Sprachmelodie“, ergänzt Kanske. Ein einzelner Test reiche daher nicht aus, um einer Person mangelnde soziale Fähigkeiten zu bescheinigen. Vielmehr müsse es eine ganze Reihe an Testverfahren geben, um sie tatsächlich als wenig empathisch einzuschätzen – oder als unfähig, die Sichtweise des anderen einnehmen zu können.

Foto: Adobe Stock / Matthieu

Hauptkategorie: Medizin
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