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Einsam unter vielen – wie Stadtstress krank machen kann

Mittwoch, 1. Juli 2015 – Autor:
Bereits heute lebt jeder zweite Mensch auf der Erde in einer Stadt. Trotz vieler Vorteile kann das Großstadtleben auch krank machen. Experten sehen eine „toxische Mischung“ aus sozialer Dichte und Isolation.
Einsam unter vielen – wie Stadtstress krank machen kann

Großstädte können krank und einsam machen. Eine Therapie lindert die Symptome

Großstädte bieten ihren Einwohnern viele Vorteile, etwa eine gutes öffentliches Verkehrsnetz, eine hohe Dichte an Ärzten, jede Menge Möglichkeiten zur individuellen Entfaltungund zahlreiche kulturelle Angebote. Doch es gibt auch eine Schattenseite. Sobald der Großstadtmensch das Haus verlässt, ist er mit einer Vielzahl an Reizen wie Menschenmengen, Lärm oder verstopften Straßen konfrontiert. Stadtstress gerät deshalb mehr und mehr in den Blick der Wissenschaft.

Inwiefern es diese Stressoren sind, die das erhöhte Risiko von Stadtbewohnern für bestimmte psychische Krankheiten erklären, ist jedoch bisher unklar. So ist für Stadtbewohner beispielsweise das Erkrankungsrisiko für Depressionen gegenüber der Landbevölkerung um das 1,4-Fache erhöht, das für Schizophrenien um das Zweifache. Stadtleben gilt für das Schizophrenie-Risiko bei genetisch vorbelasteten Menschen sogar als ähnlich relevant wie Cannabiskonsum. In einer Studie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit Mannheim konnte gezeigt werden, dass das Leben und Aufwachsen in der Stadt die stressabhängige Aktivierung und Konnektivität bestimmter emotionsregulierender Hirnareale beeinflusst.

Toxische Mischung aus sozialer Dichte und sozialer Isolation

„Wir wissen heute, dass Stadtstress krank machen kann“, sagt der Stress- und Depressionsforscher PD Dr. Mazda Adli, Chefarzt an der Fliedner Klinik Berlin. „Dabei scheint ein spezifisches Merkmal die Gleichzeitigkeit von sozialer Dichte und sozialer Isoliertheit zu sein, verbunden mit dem Gefühl einer unkontrollierbaren Umgebung. Vor allem wenn man sich dem Stress nicht entziehen kann.“ Die Kombination aus beidem führe zu einer „toxischen Mischung“, die vermutlich noch potenziert werde durch große soziale Unterschiede auf engem Raum, inadäquate Wohnbedingungen und Gewaltprobleme. Dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zufolge hat soziale Isoliertheit sogar ein höheres Sterblichkeitsrisiko als Rauchen, Alkoholkonsum oder Übergewicht. Ähnlich ist die Datenlage zur übermäßigen sozialen Dichte: sie führt bei Menschen und Primaten zu Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten. Menschen in den schnell wachsenden Megacities der Schwellenländer seien besonders gefährdet.

Stadtstress kann zu psychiatrischen Folgeerkrankungen führen

Aber auch in Metropolen wie Berlin leidet eine zunehmende Zahl an Menschen unter Stadtstress, und der kann zahlreiche Gesichter annehmen: Psychische Störungen wie Depressionen sind die häufigste Folge, gefolgt von Angstzuständen, Alkoholabhängigkeit und anderen Suchterkrankungen. „Stadtstress kann zu einer Reihe von psychiatrischen Erkrankungen führen“, erläutert Dr. Jürgen Ortmann, Leitender Psychologe an der Fliedner Klinik. Wer eine adäquate Behandlung aus Psychotherapie, Medikamenten und ergänzenden Entspannungsangeboten erhalte, habe aber große Chancen, wieder gesund zu werden.

Mehr Stressforschung erforderlich 

Allerdings bekämpft die Therapie noch lange nicht die krankheitsauslösenden Stressoren. Vor dem Hintergrund, dass bis 2050 rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in einer Großstadt leben wird, fordert Stressforscher Adli, die gesundheitsrelevanten Aspekte von Stadtstress künftig besser zu erforschen: „Wir brauchen einen wissenschaftlichen Schulterschluss mit Stadtplanern, Architekten und Stadtsoziologen. Von „Neurourbanistik“ spricht Adli, wenn er von diesem neuen gemeinsamen Ansatz spricht. Ziel ist, die Wechselwirkung zwischen städtischer und gebauter Umgebung einerseits mit Emotionen und Verhalten des Stadtbewohners andererseits besser zu verstehen. Die Erkenntnisse können direkt in Präventionsansätze für die psychische Gesundheit in der Stadt fließen. Und sie können der Stadtplanung zur Verfügung gestellt werden. Gemeinsam mit Architekten und Stadtplanern der TU Berlin, Neurowissenschaftlern der Charité und der Alfred Herrhausen Gesellschaft hat er Anfang des Jahres ein solches interdisziplinäres Forum gegründet.

Foto: © kantver - Fotolia.com

Hauptkategorien: Berlin , Medizin
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