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Dimethylfumarat: Infektionsrisiko bislang offenbar unterschätzt

Montag, 27. Oktober 2014 – Autor:
Dimethylfumarat ist seit Januar zur Behandlung von Multipler Sklerose zugelassen. Nach dem Tod einer Patientin, die das Medikament im Rahmen einer Studie jahrelang eingenommen hatte, mahnen Neurologen eine regelmäßige Kontrolle des Blutbilds an. Am Nutzen des Mittels bestehe jedoch kein Zweifel.
Dimethylfumarat: Infektionsrisiko bislang offenbar unterschätzt

Das MS-Medikament Tecfidera hat in Deutschland zum ersten Todesfall geführt – Foto: DOC RABE Media - Fotolia

Der Wirkstoff Dimethylfumarat gehört zur Klasse der Fumarate und ist eine neue Therapieoption bei Multipler Sklerose (MS). Seit Januar ist er in Tablettenform unter dem Handelsnamen Tecfidera zugelassen. Nun gab es in Deutschland den ersten Todesfall. Die betroffene MS-Patientin war im Rahmen von Studien 4,5 Jahre lang mit Dimethylfumarat behandelt worden. Dabei entwickelte sie nach etwa einem Jahr eine schwerwiegende Lymphopenie. Trotz niedriger Leukozyten- und Lymphozytenwerte stuften die Ärzte die Erkrankung aber als klinisch unbedeutsam ein. Erst im August zeigten Labortests das Vorliegen einer die progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML). Zu diesem Zeitpunkt litt die Patientin bereits an erheblichen neurologischen Defiziten und an einem durch Dimethylfumarat geschwächten Immunsystem. Im Oktober verstarb die Patientin dann an einer Lungenentzündung in Folge einer Virusinfektion.

Dimethylfumarat und MS: Blutbild alle sechs bis acht Wochen kontrollieren

„Dieser bedauerliche Todesfall darf nicht dazu führen, dass Patienten nun das Medikament als Kurzschlussreaktion absetzen“, warnt Prof. Dr. med. Ralf Gold von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Der Fall zeige, dass eine Blutbildkontrolle alle sechs bis acht Wochen bei Dimethylfumarat, so wie bei anderen MS-Medikamenten auch, unverzichtbar sei. Die DGN und das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) empfehlen seit Einführung des Medikaments, während des ersten Behandlungsjahrs die Leukozyten- und Lymphozytenzahl im Blut alle sechs bis acht Wochen bestimmen zu lassen. Ziel der engmaschigen Überwachung ist es, hämatologische Veränderungen zu identifizieren, die das Risiko für opportunistische Infektionen wie etwa die PML)erhöhen. Werden bei den Untersuchungen Leukopenien unter 3000/µl und Lymphopenien unter 500/µl festgestellt, raten die Neurologen in ihrem Qualitätshandbuch Dimethylfumarat das Medikament abzusetzen.

Virusinfektionen können schwerwiegende Nebenwirkungen von Dimethylfumarat sein

Damit fordern die beiden Organisationen eine deutlich strengere Überwachung als der Hersteller von Dimethylfumarat. In den Fachinformationen ist lediglich von einer Kontrolle alle sechs Monate die Rede. Die Herstellerfirma beruft sich dabei auf die zulassungsrelevante Studie, in der es offenbar keine Hinweise auf das Risiko einer PML gegeben hatte. Dabei wurden bereits zahlreiche PML-Fälle unter der Therapie mit anderen Medikamenten aus der Klasse der Fumarate beobachtet. Fumarate werden seit längerer Zeit bei der Behandlung der Schuppenflechte eingesetzt. Mit Dimethylfumarat gegen Multiple Sklerose ist dies nach Angaben des Herstellers der erste Fall. Weltweit werden bereits etwa 100.000 Patienten mit diesem Medikament behandelt.

„Der Nutzen des Methylfumarats für die Patienten ist unbestritten“, sagt Neurologe Ralf Gold. „Die Infektion mit ihren tödlichen Folgen zeigt jedoch, dass stärkeres Augenmerk auf eine Virusinfektion als mögliche schwerwiegende Nebenwirkung gelegt werden muss.“

Foto: © Gerhard Seybert - Fotolia.com

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
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