"Die Zahl der Herzinfarkte ließe sich mühelos halbieren"

Prof. Dr. med. Helmut Gohlke
Herr Professor Gohlke, am 29. September ist Welt-Herz-Tag. Sie sind Kardiologe und Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. Welche Botschaft liegt Ihnen besonders am Herzen?
Gohlke: Mehr bewegen, nicht rauchen und weniger, aber besser essen.
Alles klingt irgendwie bekannt. Warum geht es beim Thema Herz eigentlich immer um den Lebensstil?
Gohlke: Weil 80 bis 90 Prozent der koronaren Herzerkrankungen durch einen ungesunden Lebensstil verursacht werden. Wenn sich alle an die drei genannten Maxime halten würden, hätten wir in Deutschland nur halb so viele Herzinfarkte.
Fangen wir mit der Bewegung an. Vielen fehlt es an der Zeit, nach einem vollen Arbeitstag noch ins Fitness-Studio zu gehen. Haben Sie einen Vorschlag?
Gohlke: Es muss ja nicht das Fitness-Studio sein. Nehmen Sie das eine oder andere Mal das Fahrrad und lassen Sie das Auto stehen, laufen Sie die Treppe statt den Aufzug zu nehmen oder steigen Sie ab und an mal eine Bushaltestelle früher aus und gehen Sie den Rest zu Fuß. Bewegung lässt sich auch ohne großen Zeitaufwand in den Alltag einbauen. Menschen, die sich partout nicht zum Sport aufraffen können, sollten unbedingt zu Bewegungssammlern werden!
Wie viel Bewegung am Tag sollte denn zusammenkommen?
Gohlke: Eine große Untersuchung aus Taiwan hat gerade gezeigt, dass schon eine Viertelstunde pro Tag ausreicht. Eine halbe Stunde wäre optimal, aber mit 15 Minuten täglich können Sie schon viel für Ihre Herzgesundheit tun und Ihre Lebenserwartung um drei Jahre verlängern.
Haben Sie eine ähnliche Entwarnung auch fürs Rauchen?
Gohlke: Nein. Rauchen ist der katastrophalste aller Risikofaktoren. In Deutschland sterben jährlich über 100.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das ist sozusagen jeden Tag ein Jumboabsturz. Und: jede einzelne Zigarette verkürzt das Leben um 28 Minuten!
Warum ist Rauchen für das Herz so gefährlich?
Gohlke: Rauchen hat vielfältige schädliche Wirkungen. Eine der wichtigsten ist, dass es die Gerinnungsneigung im Blut steigert und Entzündungsreaktionen im Körper hervorruft. Die weißen Blutkörperchen werden dann aktiver und nagen - vereinfacht gesagt - an den Plaques, das sind die Fettpolster in den Arterien. Das führt dazu, dass die Plaques aufbrechen, damit eine intensive örtliche Blutgerinnung in Gang setzen, was in einem Gefäßverschluss resultiert. Dieser Verschluss führt dann zu einem Herzinfarkt. Das ist einer der wichtigsten Mechanismen für den Herzinfarkt; Raucher haben ein 5- bis 6-fach höheres Herzinfarkt-Risiko als Nichtraucher.
213.000 Herzinfarkte soll es in Deutschland im Jahr 2010 gegeben haben, 59.000 Menschen daran verstorben sein.
Gohlke: Darf ich noch ergänzen, dass es sich bei dieser Zahl um Herzinfarkte handelt, die im Krankenhaus behandelt wurden. Epidemiologische Studien zeigen, dass etwa ein Drittel aller Herzinfarktpatienten, das heißt weitere 70.000, versterben, bevor sie die Klinik erreichen. Wir gehen also insgesamt von über 280.000 Herzinfarkten pro Jahr aus.
Gibt es Warnzeichen, die auf einen Herzinfarkt hin deuten?
Gohlke: Das erste Warnzeichen ist die Risikokonstellation. Wenn Sie als Frau 20 Zigaretten am Tag rauchen, ist ihr Risiko für eine Koronare Herzkrankheit und einen Herzinfarkt um das sechsfache erhöht, das gilt übrigens auch für den Schlaganfall. Kommt Bluthochdruck hinzu verdoppelt sich Ihr Risiko nochmal. Haben sie zusätzlich noch erhöhte Cholesterinwerte, steigt ihr Risiko nochmals an. Und wenn in ihrer Familie bereits Herzinfarkte aufgetreten sind, dann geht Ihr Risiko auf das 20-fache hoch. Wer solche Risikofaktoren hat, sollte schon mal über seinen Lebensstil nachdenken und deutliche Verbesserungen anstreben. Gerade wenn in der Familie Herzinfarkte oder Schlaganfälle aufgetreten sind, sollte dies als Warnzeichen angesehen werden und dem Lebensstil besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Und was ist mit körperlichen Beschwerden?
Gohlke: Belastungsabhängige Luftnot verbunden mit einem druckartigen Engegefühl in der Brust können Zeichen einer Angina pectoris oder eben schon Vorboten eines Herzinfarkts sein. Diese Symptome deuten jedenfalls darauf hin, dass die Herzkranzgefäße bereits verengt sind und die Durchblutung des Herzmuskels beeinträchtigt ist.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind vor Krebs die häufigste Todesursache in Deutschland. Welche Herzerkrankungen sind außer dem Herzinfarkt noch lebensgefährlich?
Gohlke: Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen sind neben dem Herzinfarkt die häufigsten Todesursachen. Die Herzschwäche führt zu einer Stauung in der Lunge und damit zu Luftnot und kann langsam auch zu einem Versagen anderer Organe wie zum Beispiel einem Nierenversagen führen. Durch starke Rhythmusstörungen – meistens „Kammerflimmern“ - kann es aber auch zu einem plötzlichen Herzkreislauf-Stillstand, dem so genannten plötzlichen Herztod kommen, wenn nicht sehr schnell Wiederbelebungsmaßnahmen etwa durch Herzdruckmassage – auch durch Laien- eingeleitet werden. Rund 80.000 Menschen erleiden jedes Jahr einen plötzlichen Herztod.
Können wir uns durch einen gesünderen Lebensstil auch vor Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen schützen?
Gohlke: Kommt drauf an. Herzschwäche und Rhythmusstörungen sind meistens wiederum Folgen anderer Herzerkrankungen, zum Beispiel eines Herzinfarktes. Ein erhöhter Blutdruck ist ein Risikofaktor für Herzschwäche. Eine Herzschwäche wird darüber hinaus seltener durch eine angeborene, häufiger jedoch durch eine altersbedingte Herzklappenerkrankung verursacht. Auch eine Virusinfektion kann den Herzmuskel befallen und erheblich schwächen. Dagegen können wir uns nicht schützen. Anders sieht es bei der alkoholischen Kardiomyopathie aus. Da wird der Herzmuskel durch übermäßigen Alkoholkonsum geschwächt.
Wären wir wieder beim Lebensstil. Mal ab und zu ein Glas Wein ist aber erlaubt?
Gohlke: Mehr sollte es aber nicht sein. Und dann am besten zum Essen.
A pro pos Essen: Was sollte am besten auf dem Teller liegen?
Gohlke: Wenn Sie Ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen, dann essen Sie weniger Fleisch und mehr Ballaststoffe, Obst und Gemüse. Weltweit ist inzwischen anerkannt, dass uns die so genannte mediterrane Kost vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützt. Zahlreiche Studien sprechen hier eine eindeutige Sprache.