„Die Krankenhaussterblichkeit ist bei Aufnahmen am Wochenende signifikant erhöht”
Professor Bartels, auf dem diesjährigen Nationalen Qualitätskongress Gesundheit von Gesundheitsstadt Berlin haben Sie eine Studie vorgestellt, in der die Krankenhaussterblichkeit je nach Aufnahmezeitpunkt untersucht wurde. Wie kamen Sie auf das Thema?
Bartels: Die von mir geleitete Arbeitsgruppe „Risikoadjustierte Qualitätssicherung“ beschäftigt sich schon länger mit der Frage, wie eine optimale Beurteilung der stationären Versorgungsqualität möglich ist. Dabei stießen wir auf Hinweise, dass bei stationären Aufnahmen am Wochenende die Patientensterblichkeit höher liegt als in der Arbeitswoche – ohne dass allerdings die Ursachen dieses Phänomens detailliert bekannt sind. Daher haben wir dies genauer untersucht.
Existierten denn vorher keine wissenschaftlichen Studien zu dem Thema?
Bartels: Nur einige. Zwar gab es im Jahr 2003 eine Publikation im New Englande Journal of Medicine, die auf einen Zusammenhang hinwies, und einige internationale Untersuchungen unterstützten die These. Doch eine größere wissenschaftliche Erhebung gab es dazu bisher nicht, und in Deutschland lagen bis jetzt gar keine Daten zu dem Thema vor. Unsere Studie ist also die erste dieser Art für die Bundesrepublik Deutschland.
Was ist das Besondere an Ihrer Analyse?
Bartels: Neu ist vor allem, dass wir den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der stationären Aufnahme und der Mortalitätsrate in einer solchen Dimension zeigen konnten und dass wir die Datenerhebung an einem sehr großen Kollektiv durchgeführt haben. Über sieben Millionen Patientendaten sind in unsere Analyse eingeflossen.
Welche konkreten Ergebnisse hat die Studie geliefert?
Bartels: Unsere Resultate sind alarmierend: Wir haben herausgefunden, dass die Krankenhaussterblichkeit bei einer stationären Aufnahme am Wochenende im Vergleich zur Arbeitswoche bis zum Fünffachen erhöht ist!
Das ist ein beträchtlicher Faktor. Woran könnte diese Erhöhung liegen?
Bartels: Die Ursachen sind bisher nicht ganz geklärt. Allerdings konnten wir in unserer Analyse zeigen, dass es am Wochenende eine signifikante Zeitverzögerung zwischen dem ersten Patientenkontakt und weiterführenden diagnostischen oder therapeutischen Verfahren gibt. Inwieweit diese Zeitverzögerung allerdings ursächlich für die erhöhte Sterblichkeit am Wochenende ist und welche Ursachen diese hat, ist noch unklar. Aber natürlich ist es naheliegend, davon auszugehen, dass dies mit einer veränderten Personalstruktur am Wochenende zu tun hat, dass also einfach weniger Personal da ist.
Kann es auch andere Ursachen geben, die nichts mit Versorgungsdefiziten zu tun haben?
Bartels: Ja, es gibt auch die Hypothese, dass die Patienten, die am Wochenende meist notfallmäßig aufgenommen werden, kränker sind als diejenigen, die unter der Woche aufgenommen werden. Auch darauf weisen einige Studien hin. Aber das müsste noch genauer untersucht werden. Und auch, wenn sich das bestätigt, müssten wir uns fragen, wie wir dafür sorgen können, dass gefährdete Patienten schon vorher identifiziert werden, damit sie dann auch früher ins Krankenhaus überwiesen werden können.
Sind denn jetzt weitere Studien zu dem Thema geplant?
Bartels: Ja, und wir gehen davon aus, schon Anfang nächsten Jahres neue Ergebnisse liefern zu können. Wir bemühen uns unter anderem darum herauszufinden, bei welchen Erkrankungen die Einlieferungszeiten eine besondere Rolle spielen und ob die Ursachen auch in unterschiedlichen Versorgungsstrukturen liegen. Dabei geht es auch darum festzustellen, welches Personal und welche Gerätevorhaltung am Wochenende vorhanden ist. Zum Beispiel müssen wir uns fragen, ob ein Krankenhaus genug Gefäßchirurgen hat, die ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma rund um die Uhr operieren können. Und solche Fragen werden für verschiedene Erkrankungen unterschiedlich zu bewerten sein.
Es stellt sich dann ja auch die Frage, was mit diesen Erkenntnissen geschieht. Wie soll es weitergehen?
Bartels: Das ist die eigentlich wichtige Frage. Die Patienten gehen schließlich davon aus, dass sie 365 Tage im Jahr rund um die Uhr die medizinisch notwendige Versorgung erhalten. Nach den neuen Zahlen kommen da jedoch Zweifel auf. Nun müssen wir nach den Ursachen schauen und dann überlegen, mit welchen Maßnahmen wir gegensteuern können. Ohne weitere prospektive Studien wird das jedoch nicht gehen.
Prof. Dr. Dr. Claus Bartels ist Geschäftsführer der MedAdvisors GmbH und war unter anderem Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Klinikums der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald sowie Professor für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein – Campus Lübeck.