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„Die jungen Ärzte bestimmen den Preis“

Donnerstag, 12. März 2020 – Autor:
Work-Life-Balance, geregelte Arbeitszeiten – in altersgemischten Stationsteams prallen Welten aufeinander. Wie sich der Generationenkonflikt im Krankenhaus lösen lässt, weiß Professor Wolfgang Kölfen, Chefarzt und Kommunikationsberater aus Mönchengladbach.
Prof. Wolfgang Kölfen

Prof. Wolfgang Kölfen

Herr Professor Kölfen, Sie befassen sich ausgiebig mit dem Clash der Generationen in Krankenhäusern. Chefärzten aus der Bayboomer-Generation raten Sie zu einem neuen Führungsstil. Wie kommt das bei Ihren Kollegen an?

Prof. Kölfen: Ich bekomme zum Teil erboste Reaktionen. Viele Kollegen wollen oder können einfach nicht begreifen, dass man mit der jungen Generation nicht mehr so umspringen kann wie früher, dass sie selbst umdenken müssen. Dabei geht kein Weg daran vorbei. Die jungen Ärzte bestimmen heute den Preis. Nicht umgekehrt. 

Das heißt?

Prof. Kölfen: Die Zeiten sind vorbei, dass Sie sich unter 150 Bewerbern den Besten aussuchen können. Heute können Sie froh sein, wenn Sie überhaupt noch eine Bewerbung auf den Tisch bekommen. Folglich hat sich die Situation im Bewerbungsgespräch um 180 Grad gedreht. Der junge Arzt - oder meistens sind es ja junge Ärztinnen - fragen den Chef, was seine Abteilung ihm oder ihr denn zu bieten hat. Und wenn Sie sich da nicht gut verkaufen, dann war es das.

Was fordert denn die Generation Y so alles ein?

Prof. Kölfen: In Bewerbungsgesprächen geht es vor allem um vier Dinge: Welche Fortbildungsmöglichkeiten könnt Ihr mir bieten? Wie toll ist Euer Team? Wie sieht das mit den Nachtdiensten aus? Und wie werden Überstunden abgegolten? Wenn ich auf all die Fragen gute Antworten habe, dann stehen die Chancen gut, dass wir einen Hospitationstag vereinbaren. Unterschrieben ist dann allerdings noch nichts. 

Würden Sie sagen, die jungen Ärztinnen und Ärzte sind egoistischer als die ältere Generation?

Prof. Kölfen: Ich würde es so ausdrücken: Die wissen genau, was sie wollen und was sie nicht wollen – und fordern das auch ein. Das gab es in meiner Generation so nicht.

Zum Beispiel nicht mehr so rackern, wie Sie das getan haben oder noch tun?

Prof. Kölfen: Tatsächlich ist die Arbeit für die jungen der Ort der Selbstverwirklichung. Sie wollen sich in der Klinik wohlfühlen, ein angenehmes Klima, nette Kollegen und natürlich gute Zukunftsperspektiven. Und vor allem wollen sie auch noch andere Rollen im Leben ausfüllen und Interessen verwirklichen: Familie, Partnerschaft, Hobbies - Stichwort Work-Life-Balance. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht für ihren Beruf brennen würden, das wird ja vielfach unterstellt.

Wo beginnen die Konflikte?

Prof. Kölfen: Die Konflikte beginnen dort, wo die junge Generation auf alte Hierarchien trifft. Die Jungen wollen mitentscheiden und Spaß an der Arbeit – keine verkrusteten Strukturen, wo der Chef immer Recht hat und keiner widersprechen darf. Meine Chefs wären heute in einer Klinik untragbar. Konflikte gibt es natürlich auch um Privilegien. Der eine möchte keine Nachtdienste machen, der andere nicht an Wochenenden arbeiten, der Dritte will drei Monate im Sommer frei nehmen. Aber irgendeiner muss die Arbeit ja machen. Da kommt, wie Sie sich vorstellen können, schnell eine Neid- bzw. Gerechtigkeitsdebatte auf.

Wie lösen Sie das?

Prof. Kölfen: Durch Gespräche. Ich sage dann, dass wir eine Schnittmenge finden müssen zwischen den persönlichen Motivationszielen und den Zielen der Klinik. Manchmal stelle ich bei Teambesprechungen auch ein Sparschwein auf den Tisch und zeige symbolisch auf: Nur wenn alle etwas hineinzahlen, kann sich auch jeder etwas herausnehmen. Das begreifen die allermeisten. 

Sie scheinen einen guten Weg gefunden zu haben, mit dem Generationenkonflikt umzugehen. Was raten Sie Ihren älteren Kollegen?

Prof. Kölfen: Hört auf zu jammern und akzeptiert die Dinge, so wie sie sind. Die alten Zeiten mit 48 oder 72 Stunden Diensten und so weiter kommen nicht zurück. Diese Platte ist abgespielt. Stellt Euch also auf die Veränderungen ein, seid offen, redet mit den Jungen und seid Vorbild. Ohne Flexibilität und Zugeständnisse geht es nicht. 

Sie sagten eingangs, bei einigen Chefärzten kommt das gar nicht gut an. Aber bekommen die nicht über kurz oder lang ein Problem, wenn ihnen die Mitarbeiter davonlaufen?

Prof. Kölfen: Aber ja. Wenn Chefärzte scheitern, dann eigentlich nie wegen fachlichen Dingen, sondern immer wegen mangelnder Führungskompetenz. Für eine Klinik ist das eine Katastrophe. Andererseits wurden den Ärzten solche Kompetenzen ja auch nie vermittelt. Deswegen plädiere ich dafür, Kommunikationstechniken und Mitarbeiterführung in die ärztliche Ausbildung mit aufzunehmen. Das stand sogar mal auf der Agenda des Deutschen Ärztetags, ist aber gescheitert, weil es angeblich zu wenige spezialisierte Ausbilder dafür gibt. So lange das so ist, sind Kliniken gut beraten, ihren Führungskräften freiwillig solche Seminare anzubieten. Nach meiner Erfahrung ist die Akzeptanz dann am größten, wenn der Referent selber Arzt ist. Die Kollegen merken das sofort an seiner Sprache und an seinen Beispielen aus dem Alltag. Die Bereitschaft, seine eigene Komfortzone zu verlassen und sich Neuem zuzuwenden, steigt in einer solchen Situation umgehend. Ich hole übrigen auch regelmäßig einen ärztlichen Kommunikations-Coach ins Haus.

Dabei haben Sie eine Zusatzausbildung als Kommunikationsberater und bieten selbst solche Seminare an.

Prof. Kölfen: Der Messias im eigenen Haus – das funktioniert nicht. Aber die Fortbildungen von den externen Beratern werden gut angenommen, weil die Kollegen merken, dass sie durch gute Kommunikation erfolgreicher werden im Team und im Umgang mit den Patienten. Das wirkt sich auch unmittelbar auf die Arbeitszufriedenheit aus.

Abschließend können wir zusammenfassen, dass sich die Konflikte zwischen Jung und Alt lösen lassen?

Prof. Kölfen: Auf jeden Fall. Im Übrigen ist nach der stillen Revolution, wie ich sie nenne, schon eine zweite Revolution in Krankenhäusern im Gange. Wir sehen seit etwa fünf Jahren einen Trend, dass hochqualifizierte Ärzte mit Anfang oder Mitte 60 aussteigen, dergestalt, dass sie sagen: Ich will zwar weiterarbeiten, aber nicht so wie bisher. Deswegen werde ich meine Arbeit jetzt auch neu definieren. Ich bin mir ziemlich sicher, die wurden von den jungen infiziert. Mit Blick auf den augenblicklichen Ärztemangel ist das eigentlich eine erfreuliche Entwicklung. Denn so arbeiten mehr Ärzte auch jenseits des Rentenalters noch weiter und bleiben dem System länger erhalten.

Prof. Dr. Wolfgang Kölfen ist Chefarzt an der Klinik für Kinder und Jugendliche der Städtischen Kliniken Mönchengladbach, zertifizierter Kommunikationsberater und Autor des Buches: „Ärztliche Gespräche, die wirken.“

Foto: Bodo Ilgner

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik
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