Die 10 Finger der Reinheit

Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff, Preisträger Prof. Dr. Franz Daschner, Laudatorin Prof. Dr. Petra Gastmeier, Kongresspräsident Ulf Fink
Dieser Satz gehört zu den legendären in seinem Leben: "Die zehn Finger der Hand sind die wichtigsten Infektionsüberträger im Krankenhaus." Franz Daschner hat sein Berufsleben als einer der ersten Klinikhygieniker in Deutschland am Universitätsklinikum Freiburg gegen die gefährlichen Keime in der Klinik gekämpft - auch in dem er nachdrücklich den Ärzten, den Pflegern und Schwestern einhämmerte, dass die regelmäßige Desinfektion der Hände vor dem Kontakt mit Patienten die Verbreitung von Erregern eindämmt - nicht aber unbedingt das flächendeckende abwischen und aussprühen aller Oberflächen mit aggressivem Desinfektionsmitteln. Und gemeinsam mit Berliner Kollegen baute er in Deutschland ein System zur Überwachung von Krankenhausinfektionen (KISS) auf. Am Donnerstag Abend erhielt Franz Daschner den Nationalen Qualitätspreis Gesundheit, eine Auszeichnung, die der Verein Gesundheitsstadt Berlin und Der Tagesspiegel in diesem Jahr erstmals gemeinsam vergaben.
Der energische 72-Jährige mit der weißen Mähne und dem bayerischen Zungenschlag kann bei diesen Provokationen eine gehörige Portion Fachautorität für sich beanspruchen. 1976 wurde Franz Daschner Leiter der zentralen Einrichtung Krankenhaushygiene des Uniklinikums Freiburg, von 1992 bis 2006 war er dort Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene. Jahrzehntelang hat er in der Hygienekommission des Robert- Koch-Instituts und von deren Vorgänger- Organisation mitgewirkt, er war - teilweise zusammen mit seinem Kollegen Henning Rüden - Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Krankenhaushygiene. Mit anderen Worten: Franz Daschner ist einer der verdienstvollsten Spezialisten für Krankenhaushygiene in Deutschland.
Infektionsprävention
Den Satz mit den zehn Fingern zitierte die Laudatorin Petra Gastmeier, selbst Chefhygienikerin der Charité und Mitstreiterin von Daschner. Franz Daschner habe schon in den 70er Jahren erkannt, dass nicht zusätzliche Gesetze zur Infektionsprävention notwendig sind, sondern dass die Methoden des Qualitätsmanagements auch in der Infektionsprävention einfach überall konsequent eingeführt und umgesetzt werden müssen, sagte Gastmeier. Und das mit einer gehörigen Portion Lust am Streiten.
In diesem Falle ist der Qualitätspreis Gesundheit heiß, so könnte man sagen, geht er doch auch an einen der streitbarsten Mediziner seiner Generation. Einen Hygiene-Experten, der sich nicht scheute, die Sinnhaftigkeit der routinemäßigen Desinfektion aller Krankenhausbetten und -böden in Zweifel zu ziehen und damit die Zunft für einige Jahre fast in zwei "Lager" zu spalten, was sich auch heute noch in der einen oder anderen Weise beobachten lässt. Einen Mann, der die Ruhe selbst bleiben und vor Hysterie warnen kann, ob sie nun die Vogelgrippe, die Schweinegrippe oder EHEC betrifft. Der sich aber auch empört, zum Beispiel, wenn im Zusammenhang mit gefährlichen multiresistenten Bakterien (MRSA) in einer Fernsehsendung von der "Todesfalle Krankenhaus" die Rede ist. Und das auch in Richtung mancher Berufskollegen: Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene solle endlich aufhören, "irgendwelche Todeszahlen an Krankenhausinfektionen in die Öffentlichkeit zu posaunen", sagte Daschner bei seiner Dankesrede am Donnerstag Abend. "5000, 10 000, 15 000, ja es waren schon einmal 20 000 Todesfälle pro Jahr." Keine dieser Zahlen stimme, sagte der Preisträger. Es gebe keine Studien zu den Todesfällen durch Krankenhauskeime in deutschen Kliniken, und schon gar nicht darüber, ob Patienten an einer Klinikinfektion starb oder vielleicht mit ihr an einer anderen Ursache.
Daschner wird nicht müde, auf den Preis des medizinischen Fortschritts hinzuweisen, auch vor dem Hintergrund der jüngsten Todesfälle von mit Keimen besiedelten Frühchen in Mainz, Bremen oder Berlin. So auch in seiner Dankesrede für den Qualitätspreis Gesundheit: In den 70er Jahren, als Daschner als Kinderarzt arbeitete, seien die meisten frühgeborenen Kinder unter einem Geburtsgewicht von 1000 Gramm an ihren unreifen Lungen gestorben, weil es keine Beatmungsgeräte für so kleine Patienten gegeben habe. Heute ist das anders. Aber anstatt die großartigen Fortschritte in der Neonatologie zu würdigen, werde "jeder vermeintliche Misserfolg skandalisiert und als Schlamperei" beurteilt.
Hygienefachkräfte in den Kliniken
Und er erinnerte seine Ärztekollegen an zwei Zahlen, die auch medizinische Laien nachdenklich machen sollten: "Nur 30 Prozent aller Krankenhausinfektionen sind vermeidbar, 70 Prozent der Tribut an eine moderne, lebensrettende Medizin." Wer allein auf die Infektionsrate einer Klinik schaue, tue deshalb hochspezialisierten Einrichtungen systematisch Unrecht, hatte Daschner kürzlich in einem Beitrag für das "Deutsche Ärzteblatt" geschrieben. Auf Intensivstationen liegen zum Beispiel weit mehr infektanfällige, weil immungeschwächte und schwerkranke Menschen als auf Allgemeinstationen. Nicht erstaunlich, dass die Krankenhausinfektionsrate deutlich höher ist.
Dass an der Situation nichts zu verbessern wäre, meint Daschner damit keineswegs. Er moniert seit Jahren, dass in den Krankenhäusern Hygienefachkräfte fehlen und dass an den Universitäten zu wenig für die Ausbildung künftiger Hygieniker getan wird. Und er kämpft für einen vernünftigen Einsatz von Antibiotika, auch in der ambulanten Medizin.
Ein besonderes Anliegen ist Daschner zudem das umweltbewusste Krankenhaus. Das Preisgeld des Deutschen Umweltpreises, der ihm im Jahr 2000 verliehen wurde, hat er zur Gründung einer "Stiftung für eine gesunde Medizin" namens viamedica genutzt. Und ebenso wolle er auch das Preisgeld des Qualitätspreises Gesundheit in Höhe von 10 000 Euro in diese Projekte stecken, kündigte Daschner an. Viamedica finanziert zum Beispiel eine Studie zur Energieeffizienz im Krankenhaus. Die rund 2100 deutschen Kliniken mit ihren rund 510 000 Betten könnten in jedem Jahr 600 Millionen Euro einsparen und dabei jährlich sechs Millionen Tonnen umweltschädliches Kohlendioxid vermeiden, lautet das vorläufige Fazit.
Von Ingo Bach und Adelheid Müller-Lissner
(c) Der Tagesspiegel