Deutschland hat das teuerste Gesundheitssystem in der EU

Mediziner müssen für viel Geld das reparieren, was vielleicht vermeidbar gewesen wäre: Die EU-Kommission bescheinigt dem deutschen Gesundheitssystem Stärken und Schwächen
Der Pflegenotstand in Krankenhäusern, Patienten, die monatelang auf einen Arzttermin warten müssen, Regionen, in denen keine Arztpraxis mehr zu finden ist, - über das deutsche Gesundheitssystem wird viel geschimpft. Dabei liegt die Versorgungsqualität im ambulanten und stationären Bereich weit über dem EU-Durchschnitt, und auch der Zugang zu den medizinischen Dienstleistungen ist vergleichsweise sehr gut. So hat Deutschland zum Beispiel die höchste Zahl an Krankenhausbetten. Das geht aus einer Analyse der EU-Kommission hervor, in der die Gesundheitssysteme der Mitgliedsstaaten verglichen wurden.
43 Prozent mehr Ausgaben als der EU-Durchschnitt
Der Bericht aus dem Jahr 2017 offenbart jedoch auch Schwächen. Mit 11,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland mehr für Gesundheit aus als jedes andere EU-Land. Genauer gesagt liegen die Pro-Kopf-Ausgaben von 3.996 Euro jährlich exakt 43 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Der Spitzenplatz spiegelt sich jedoch nicht bei der Lebenserwartung wider: Hier liegt Deutschland nur auf Platz 18. Wie kann das sein?
Ressourcen werden nicht effizient eingesetzt
Die Diskrepanz deutet laut dem EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis darauf hin, dass die Ressourcen im deutschen Gesundheitssystem nicht wirklich effizient eingesetzt werden. Deutschland gebe zum Beispiel 70 Prozent mehr für MRT-Aufnahmen aus als der EU-Durchschnitt und nirgendwo sonst würden so viele Hüften erneuert oder Geld für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgegeben. „Dies wirft Bedenken hinsichtlich einer Überversorgung mit Dienstleistungen und der Angemessenheit der Versorgung auf“, sagte Andriukaitis der WELT.
Auch die hohe Dichte an Krankenhausbetten wertet der EU-Kommissar nicht als Stärke, sondern als Schwäche. Andriukaitis hält hier eine Korrektur für sinnvoll und schlägt vor, mehr stationäre Leistungen in den ambulanten Bereich zu verlegen. „Zum Beispiel eine Entfernung der Mandeln.“
Wo bleibt die Prävention?
Es gebe noch ein weiteres Problem, und das betreffe nicht nur Deutschland. „Ich sehe eine gewisse Medikamentalisierung des Lebens“, sagte er der WELT. Die EU-Bürger achteten zu wenig auf Prävention und eine gesunde Lebensweise. „Wenn sie dann krank sind, wollen alle die beste und teuerste Therapie“.
Dass dies der falsche Weg ist und die Gewichtung eigentlich umgekehrt sein sollte, liegt auf der Hand. In Deutschland wird zwar inzwischen viel über Prävention geredet. Doch so lange die Apparatemedizin besser vergütet wird als ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch wird Deutschlands Gesundheitssystem wohl eher ein Reparaturbetrieb bleiben – der teuerste in der EU.