Deutsches Nährwertkennzeichen nicht verbraucherfreundlich?

Der deutsche Entwurf für ein Nährwertkennzeichen für Lebensmittel steht in der Kritik
Die europäischen Nachbarn setzen auf eine Nutri-Score genannte Nährwertampel auf den Verpackungen, die anzeigt, wie gesund ein Lebensmittel ist. Deutschland plant ein eigenes Kennzeichen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat das Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe mit dem Entwurf beauftragt. Doch das von den Ernährungsforschern jetzt vorgelegte deutsche Nährwertkennzeichen stößt auf Ablehnung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DGG).
Schon heute würden hierzulande zwölf Prozent der Gesundheitsausgaben für die Behandlung der Stoffwechselerkrankung Diabetes aufgewendet, hieß es auf dem Diabetes Kongress 2019 in Berlin. Ein Großteil an Typ-2-Diabetes-Erkrankungen wäre vermeidbar, wenn es gelänge, eine Umgebung zu schaffen, in der sich Menschen besser ernähren und weniger übergewichtig sind, so DGG-Präsident Prof. Dirk Müller-Wieland. Ein Schritt in die richtige Richtung sei der in Frankreich bereits eingeführte Nutri-Score.
Gesamtwert aus günstigen und ungünstigen Inhaltsstoffen
Beim Nutri-Score wird für jedes Lebensmittel aus eher günstigen Inhaltsstoffen wie Obst, Gemüse und Ballaststoffen und eher ungünstigen Inhaltsstoffen wie Zucker, Salz und gesättigten Fettsäuren ein Gesamtpunktwert ermittelt. "Je nachdem, wie dieser Wert ausfällt, wird das Produkt auf der Vorderseite der Verpackung mit einem Buchstaben und einer von fünf Farben gekennzeichnet", erklärt der DDG-Präsident.
Mit dem Nutri-Score könne jeder Mensch unabhängig von Sprachkenntnissen und Bildungsstand den Unterschied zwischen dem dunkelgrünen A - für sehr günstige Lebensmittel - und dem roten E - für sehr ungünstige Nahrungsmittel - erkennen.
Franzosen kauften nach Einführung des Nutri-Score anders ein
Tests zeigten, dass die Franzosen nach dem Start des Nutri-Score weniger ungesunde und mehr gesunde Produkte kauften. Die Nährwertqualität verbesserte sich dadurch um bis zu neun Prozent. Auch Belgien, Spanien, Portugal und Luxemburg planen die Einführung.
Warum Ernährungsminsterin Julia Klöckner (CDU) einen "deutschen Sonderweg erwägt, dessen Umsetzung unnötig Zeit und Geld kostet, ist fachlich nicht zu erklären", sagt DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Am vom MRI vorgestellten Kennzeichnungssystem kritisiert die DDG vor allem die fehlende farbliche Markierung, die hilft, die Höhe der Nährstoffgehalte schnell einzuschätzen.
Deutsches Nährwertkennzeichen nicht verbraucherfreundlich
Das deutsche Nährwertkennzeichen sei nicht verbraucherfreundlich, moniert die Fachgesellschaft. Die Kritik ist nachzuvollziehen, denn die Informationen, die das Siegel liefern soll, sind nicht auf den ersten Blick zu erfassen. Zum einen gibt es eine Sterne-Bewertung vor farbigem Hintergrund. Mit der Qualität des Lebensmittels steigt die Zahl der Sterne (Höchstnote 5) und der Hintergrund wird dunkler. Doch nicht jedem dürfte auf Anhieb klar sein, ob er sich an den schwarzen (ausgefüllten) oder den weißen (unausgefüllten) Sternen orientieren sollte.
In einer zweiten Grafik werden Inhaltsstoffe wie Zucker, Salz, Fett und ungesättigte Fettsäuren jeweils farbig hervorgehoben - und zwar immer dann, wenn sie "unter den Grenzwerten der EU-Health Claims-Verordnung liegen", so das MRI. Ohne eine zusätzliche Erläuterung ist für den Verbraucher nicht zu erkennen, ob die farbige Hervorhebung auf einen günstigen oder einen ungünstigen Wert deutet.
Im Sommer startet Umfrage zu Nährwertkennzeichen
Um die Akzeptanz des deutschen Entwurfs zu prüfen, startet das Ernährungsministerium im Sommer eine Umfrage. Vier bis fünf Kennzeichnungssysteme stehen dabei zur Auswahl, auch das vom MRI entwickelte und der Nutri-Score. Es müsse geprüft werden, "ob und wie gut die eigentlichen Nutzer des Zeichens, die Verbraucher, die aus dem Nährwertkennzeichnungs-Modell ableitbaren Aussagen verstehen und für ihre Lebensmittelauswahl einsetzen können", so das MRI. Die Diabetes-Gesellschaft hat ihr Urteil schon gefällt.
Foto: MRI