Deutscher Krebskongress setzt auf 4P-Medizin
Am Mittwoch hat der 32. Deutsche Krebskongress in Berlin begonnen. Im Mittelpunkt steht die 4P-Medizin. Damit sind die Attribute präventiv, personalisiert, präzise und partizipativ gemeint. Aber was bedeutet das eigentlich konkret für die Krebsmedizin und wie weit ist man damit schon?
Das Konzept geht auf den US-Biomediziner Leroy Hood zurück, der eine neue Herangehensweise in der Medizin beschreibt. Danach gilt es, Krankheiten wirksam vorzubeugen (präventiv), mittels fortschrittlicher Methoden präzise Diagnosen zu stellen und innovative, individuell auf den Patienten abgestimmte Therapien zu entwickeln (personalisiert). Der Patient selbst wirkt aktiv an seiner Genesung mit und ist bei Therapieentscheidungen auf Augenhöhe miteinbezogen (partizipativ). Mit anderen Worten: Die Medizin entwickelt sich von einer eher reaktiven zu einer proaktiven und individualisierten Medizin.
Dass die 4P-Medizin enorme Chancen im Kampf gegen die Volkskrankheit Krebs bietet, verdeutlichte Kongresspräsidentin Prof. Angelika Eggert in der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Krebskongresses am Mittwoch: Die Anwendung der 4P-Medizin sei der Anfang eines grundlegenden Wandels in der Versorgung krebskranker Menschen, sagte sie, und berge sehr viele Chancen für die Patienten. Allerdings müssten noch eine Menge Hausaufgaben erledigt werden, um das Konzept tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Vor allem Ärzte und die Gesundheitspolitik seien gefordert.
Nachsorge ist auch Prävention
Während die Primär und Sekundär-Prävention viel vom Einzelnen abverlangt – Stichwort gesunde Lebensführung und Wahrnehmung von Früherkennungsuntersuchungen– müssen Eggert zufolge bei der Krebsnachsorge neue Rahmenbedingungen geschaffen werden. „In Deutschland leben derzeit über 30.000 Langzeitüberlebende nach einer Krebserkrankung im Kindesalter. Für diese Menschen müssen Nachsorgezentren aufgebaut werden, nicht zuletzt weil ein Drittel unter Langzeitfolgen leidet“, forderte die Kinderonkologin. Nachsorge bezeichnet sie als tertiäre Prävention, weil es hier darum geht, Krebsrückfälle sowie zweite Krebserkrankungen als Therapiefolge zu vermeiden.
Bei komplexen Tumoren funktioniert die Präzisionsmedizin nicht
Die personalisierte Medizin ist bei Krebserkrankungen seit etwa zehn Jahren auf dem Vormarsch und weiter als in den meisten anderen Bereichen der Medizin. Grundgedanke ist, das individuelle molekulare Profil des Tumors zu bestimmen und bestenfalls mit zielgerichteten Medikamenten erfolgreich zu behandeln. Erfolgsgeschichten wie die der chronisch myeloischen Leukämie oder des Melanoms sind jedoch nicht unbedingt auf andere Krebserkrankungen übertragbar. Einmal, weil Tumore grundverschieden sind und es nicht für jede Treibermutation einen entsprechenden Hemmstoff gibt. Zum anderen sind viele Tumore so komplex, dass es das eine Angriffsziel nicht gibt. „Je komplexer eine Tumorerkrankung ist, desto schwieriger ist es, eine gezielte Therapie zu machen; bei einer unüberschaubaren Mutationslast wird es geradezu unmöglich“, beschrieb Kongressvizepräsident Prof. Ulrich Keilholz eine der großen Hürden in der personalisierten Krebstherapie. Andererseits habe man in den letzten zwei Jahren gesehen, dass gerade komplexe Tumoren auf die neuen Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren gut ansprechen. Der Grund: Das Immunsystem erkennt die extrem zerstörten Zellen als fremd. „Wir können das Feld jetzt von zwei Wegen aus aufrollen“, sagte Keilholz mit Blick auf die Präzisionsmedizin und die Immuntherapie.
Unter Präzisionstherapie verstehen die Mediziner unterdessen nicht nur medikamentöse Therapien – präzise und personalisiert bedeuten in diesem Fall das gleiche – sondern auch neue Operationstechniken und Präzisionsbestrahlungen. Bei alle den neuen Technologien geht es darum, den Tumor gezielt anzugreifen und das gesunde Gewebe so weit wie möglich zu schonen. Diesbezüglich sei die Medizin auf einem guten Weg, meinte Kongresspräsidentin Eggert.
Finanzierung ist das große Problem
Bei der personalisierten Medizin müssten die Ärzte indes noch viel Überzeugungsarbeit leisten, dass sich die teure genetische Diagnostik lohne. „Jedem Patienten eine Therapie mit neuen Medikamenten anzubieten, das sprengt die Bank“, sagte Eggert. Deshalb sollte gerade die molekulare Diagnostik im Interesse der Krankenkassen sein. Dadurch, so ihr Argument, würden überflüssige Therapien eingespart – im Interesse der Patienten und der Kassen. Tatsächlich ist die Kostenerstattung der genetischen Tests aber oft nicht klar geregelt. Nach Ansicht des Präsidenten der Deutschen Krebsgesellschaft Prof. Wolff Schmiegel werden dadurch die neuen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft und wertvolle Chancen für die Patienten verschenkt. Dem Krebsmediziner zufolge erhalten momentan gerade mal fünf Prozent der Patienten ein „personalisiertes“ Medikament.
Ungeachtet dessen, dass sowohl zielgerichtete Medikamente als auch die neuen Checkpoint-Inhibitoren extrem teuer sind, steht bei den meisten neuen Medikamenten der Beweis noch aus, dass sie den Patienten tatsächlich Vorteile bringen. „Wir sind in der Pflicht Evidenz zu liefern“, betonte Schmiegel. „Die Weichen sind da, aber wir müssen sie noch richtig stellen“, sagte er in Richtung Ärzte und Gesundheitspolitik. An letztere war auch das Beispiel von Barack Obama adressiert. Der US-Präsident hatte im vergangen Jahr eine große Kampagne zur Präzisionsmedizin lanciert und will nun jährlich 215 Millionen US-Dollar in das entscheidende P der 4P-Medizin investieren. Eine derartige Finanzspritze könnte auch die deutsche Krebsmedizin gut gebrauchen, hieß es zwischen den Zeilen auf dem 32. Deutschen Krebskongress, zumal der Nationale Krebsplan seit 2013 auf der Stelle tritt. Schmiegel und sein Vorgänger Prof. Michael Bamberg sprachen von einer "Cancer Gap".