Deutscher Ärztetag: Ökonomie darf nicht das ärztliche Handeln bestimmen
In einer Entschließung unter dem Titel "Menschen statt Margen in der Medizin" hat der Deutsche Ärztetag am Mittwoch die Misere des deutschen Gesundheitssystems zusammengefasst. Dort heißt es unter anderem: „Die Zahl der Behandlungsfälle in Klinik und Praxis steigt seit Jahren, die Zahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Arztstunden hingegen ist rückläufig. Zugleich nimmt der ökonomische Druck durch fortwährende Unterfinanzierung im ambulanten Bereich wie auch in der Klinik zu.“ Die Folge dieser Entwicklung sei eine Verdichtung von Arbeit, Überlastung und Demotivation von Ärztinnen und Ärzten. Der 116. Deutsche Ärztetag in Hannover hat deshalb gefordert, das Gesundheitssystem statt nach rein ökonomischen Vorgaben stärker an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten auszurichten. Die Dynamik der Überregulierung sowie der Ökonomisierung müsse durchbrochen werden, um wieder den notwendigen Raum für Therapiefreiheit und –verantwortung herzustellen.
Ökonomen sollten lernen, wie Mediziner zu denken
Ökonomisches Denken sei zwar eine Notwendigkeit, doch dürfe die Ökonomie nicht das ärztliche Handeln bestimmen, warnte Prof. Dr. Giovanni Maio, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg, in einem Gastvortrag vor den Delegierten des Ärztetages. „Innerhalb der ökonomischen Logik wird die ärztliche Arbeit wie eine technische Reparatur aufgefasst, die dann ebenso kostensparend ablaufen soll; dabei wird aber der Mensch mit seiner Befindlichkeit und die psychosoziale Dimension des Krankseins zu sehr vernachlässigt." Ökonomen müssten lernen, medizinisch zu denken, um zu wissen, wo das ökonomische dem medizinischen Denken Platz machen müsse, forderte der Medizinhistoriker.
Die Mediziner wollen keine Bürgerversicherung
Weiter wurde in Hannover die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geplante Bürgerversicherung thematisiert. Eine solche Einheitsversicherung lehnt der Deutsche Ärztetag ab. Die Mediziner plädierten dafür, dass Krankenversicherungssystem unter Beibehaltung der Dualität von gesetzlicher und privater Krankenversicherung fortzuentwickeln. Die Bundesärztekammer hatte im vergangenen Jahr eine Reformskizze zur Weiterentwicklung des Krankenversicherungssystems entwickelt, die am Mittwoch in Hannover bestätigt wurde. Die Reformskizze sieht unter anderem vor, den derzeitigen Versichertenanteil zu einem festen, einkommensunabhängigen und von den Kassen autonom festzulegenden Gesundheitsbeitrag weiterzuentwickeln. Um eine zu hohe Belastung von beitragspflichtigen Versicherten mit niedrigen Einkommen zu verhindern, soll der Gesundheitsbeitrag, den der einzelne Versicherte zahlen muss, auf eine Belastungsgrenze von einem maximalen beitragspflichtigen Anteil von 9 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens beschränkt werden.
Der AOK Bundesverband kritisierte indes die Forderungen des Deutschen Ärztetags: „Was auf den ersten Blick als Beitrag zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems daherkommt, konzentriert sich auf den zweiten Blick nur auf einen Punkt: die Finanzen. Jeglicher Impuls, wie für Versicherte eine gute medizinische Behandlung auf Dauer sichergestellt werden kann, fehlt", sagte Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes.
Die Dualität des Krankenversicherungssystems schaffe zahlreiche Verwerfungen wie beispielsweise den Rückzug der niedergelassenen Ärzte aus einkommensschwachen Regionen und Stadtteilen, kritisierte Deh. Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung habe einen Wettlauf um wohlhabende Patienten ausgelöst.“ Unsere Patienten brauchen die Sicherheit, dass Wohnort und Einkommen bei der medizinischen Behandlung keine Rolle spielen", so der AOK-Vorstand.