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Depressionen sind salonfähiger geworden

Freitag, 10. Juli 2015 – Autor:
Krankentage wegen psychischer Erkrankungen wie Depressionen haben sich gegenüber 2003 mehr als verdoppelt. Das geht aus dem gestern vorgestellten BKK Gesundheitsatlas 2015 hervor. Trotzdem sind seelische Leiden nicht häufiger als früher.
Depressionen sind salonfähiger geworden

BKK Gesundheitsatlas 2015: Psychische Erkrankungen sind nicht häufiger geworden, sie werden bloß öfter attestiert

Wird Deutschland seelisch immer kränker? Unter diesem Fragezeichen hat der BKK Dachverband am Donnerstag seinen Gesundheitsatlas 2015 in Berlin vorgestellt. Der Atlas zeigt: Krankentage wegen seelischer Leiden wie Depressionen haben sich gegenüber 2003 mehr als verdoppelt. Die Dauer der Krankschreibungen ist seither um 25 Prozent gestiegen. Im Schnitt dauern Krankschreibungen in diesen Fällen 40 Tage, bei affektiven Störungen, zu denen Depressionen zählen, sind es sogar bis zu 58 Tage. Rentner und Arbeitslose erhalten demnach am häufigsten eine Depressionsdiagnose. Frauen öfter als Männer. Betrachtet man alle psychischen Diagnosen sind Menschen kurz vor dem Rentenalter, also Ende 50, am häufigsten und am längsten krankgeschrieben.  

Depressionen werden heute häufiger diagnostiziert

Doch dass Deutschland seelisch immer kränker werde, könne man aus den Daten nicht schließen, meinte BKK-Vorstand Frank Knieps. Empirische Studien des Robert Koch-Instituts zeigten nämlich keine wesentliche Zunahme psychischer Störungen. Die offensichtliche Diskrepanz erklärt Knieps damit, dass psychische Erkrankungen salonfähiger geworden seien. Früher hätten sich Depressionen oft hinter Rückenschmerzen versteckt, heute würden mehr Menschen ihr seelisches Leiden akzeptieren und Hilfe in Anspruch nehmen. „Entsprechend häufiger werden Beschäftigte wegen sogenannter F-Diagnosen krankgeschrieben. Die heutzutage umfangreicheren Kenntnisse psychischer Krankheitsbilder bei Allgemeinmedizinern und Hausärzten tragen ebenfalls zum Anstieg der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme bei“, so Knieps.

Es gibt keine Depressions-Epidemie

Mitautor der Studie, Prof. Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin, räumte allerdings auch eine mögliche Überdiagnostizierung ein. „Eine Diagnose wird häufig unspezifiziert oder bei nur leicht beeinträchtigten Personen gestellt, um überhaupt eine Unterstützung, anbieten zu können“, so der Psychologe. Und wer einmal die Diagnose Angsterkrankung, Depression oder Persönlichkeitsstörung erhalten habe, werde diese Diagnose kaum noch los. Jacobi: „Somit werden aktuell Personen mit psychischen Erkrankungen zum Teil systematisch überschätzt - bei psychischen Störungen von einer ‘Epidemie des 21. Jahrhunderts‘ zu sprechen wäre folglich übermäßig dramatisierend.“

Die Daten von 4,3 Millionen beschäftigten BKK Versicherten zeigen außerdem große regionale Unterschiede auf. So werden in Großstädten wie Berlin, Hamburg, München mehr psychische Erkrankungen attestiert als in ländlichen Gegenden. Ein derartiges Gefälle ist auch zwischen Süddeutschland und dem Norden und Osten zu beobachten.

Antidepressiva werden im Westen deutlich häufiger verordnet als im Osten

Besonders krasse Unterschiede gibt es bei der Verordnung von Antidepressiva. Westdeutsche Ärzte verordnen die Psychopillen zum Teil doppelt so häufig wie ostdeutsche Kollegen. So haben im bayerischen Straubing 11,5 Prozent der BKK Versicherten ein Antidepressivum erhalten, im sächsischen Meißen nur 4,5 Prozent.

„Diese Schwankungsbreiten können nicht allein durch tatsächliche unterschiedliche Erkrankungshäufigkeiten in den Regionen erklärt werden“, meinte Knieps. Vielmehr sei ein Zusammenhang mit Regionalindikatoren wie der Ärztedichte nachweisbar. Mit anderen Worten: Dort, wo es viele Psychiater, Nervenärzte und Psychotherapeuten gibt, werden auch mehr psychische Erkrankungen diagnostiziert. Und der Griff zum Rezeptblock nimmt dann dementsprechend zu.

Foto: © Andrzej Wilusz - Fotolia.com

Hauptkategorien: Berlin , Medizin
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