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Demenz: Neue Leitlinie soll Behandlung verbessern

Mittwoch, 27. Januar 2016 – Autor:
Nur die Hälfte der Demenz-Kranken werden erkannt, noch weniger erhalten eine Behandlung nach den medizinischen Standards. Das soll die komplett überarbeitete, neue Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von Demenz verbessern.
Die Pflege von Demenz-Kranken kostet Kraft

Angehörige von Demenz-Kranken brauchen mehr Unterstützung – Foto: Ocskay Bence - Fotolia

Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) stellten die S3-Leitlinie jetzt in Berlin vor. Sie forderten, wissenschaftlich belegte Therapie-Optionen stärker zu nutzen.

Dabei spielen die psychosozialen Interventionen eine wesentliche Rolle: „Psychosoziale Interventionen wirken so gut wie Medikamente und sind gleichrangige zentrale Bausteine im Gesamtbehandlungsplan von Demenzerkrankungen“, betont Prof. Wolfgang Maier von der DGPPN, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn und einer der beiden Sprecher der Leitlinie in einer Mitteilung der DGPPN.

Neue Leitlinie Demenz: Mehr Unterstützung für Angehörige

„Die Wirksamkeit alltagsnaher kognitiver Stimulation, individuell angepasster Ergotherapie oder gezielter körperlicher Aktivitäten ist klar nachgewiesen. Die Anwendung solcher Verfahren sollte möglichst zu Hause erfolgen. Damit werden Lebensqualität, Fähigkeiten und positive Gefühle der demenziell Erkrankten gefördert und vor allem auch die Pflegenden entlastet“, so Maier.

Angehörigen-Trainings sollten eingesetzt werden, um bei den pflegenden Familienmitgliedern Belastungsfolgen wie Depressionen oder Burnout zu vermeiden und Erleichterungen herbeizuführen. So könnten Heimeinweisungen länger vermieden werden. „Wir fordern daher systematische Beratungs- und Trainingsangebote für Angehörige, damit sie entlastet werden und sie nicht selber infolge der Pflege erkranken“, meint der Mediziner.

Kann man der Alzheimer-Demenz vorbeugen?

„Die Hinweise verdichten sich, dass eine Alzheimer-Demenz nicht allein Schicksal ist“, sagt Prof. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Köln und Leitlinienkoordinator der DGPPN. „Es gibt wahrscheinlich Möglichkeiten, das Risiko einer Erkrankung zu mindern. Als Faustregel gilt: Was dem Herz gut tut, hilft auch dem Gehirn.“

Es gelte, Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht im Auge zu behalten, um diesen Risikofaktoren frühzeitig medizinisch entgegenzuwirken. Ein gesunder und aktiver Lebensstil, körperliche Bewegung und ein aktives soziales Leben sind weitere Faktoren, die helfen, die Erkrankung zu bremsen. Von der Einnahme von Hormonersatzpräparaten zur Prävention von Demenz raten die Leitlinien ab.

Demenz: Nur wenige Medikamente wirken

Viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die Patienten heute erhalten, sind wirkungslos. „Wir haben zwar nur ein kleines Arsenal an nachweislich wirksamen Substanzen, diese können wir aber gezielt und individuell einsetzen – und die neue Leitlinie zeigt eine immer bessere wissenschaftliche Studienlage“, sagt Prof. Richard Dodel, Kommissarischer Leiter der Neurologischen Universitätsklinik in Marburg.

Die Medikamentengruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer fördert die Fähigkeit der Patienten, ihre Alltagsaktivitäten zu verrichten, stabilisiert die kognitive Funktion und den Gesamteindruck bei einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz. Memantin verbessert die Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz, heißt es weiter in der DGPPN-Mitteilung.

Neu ist, dass der Extrakt aus der Pflanze Ginkgo biloba bei Personen mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz, die zusätzlich unter Verhaltensänderungen wie Depression oder Antriebsstörungen leiden, Hinweise auf eine positive Wirkung zeigt.

Demenz: Früherkennung ist möglich

Wenn die fachlich richtigen Methoden gewählt werden, können wir heute eine Alzheimer-Erkrankung mit einer Vorhersagestärke von 85 bis 90 Prozent prognostizieren“, sagt Prof. Jörg Schulz, Direktor des Neurologischen Universitätsklinikums in Aachen. Jeder Patient mit sicher diagnostizierten klinischen Vorzeichen, einer so genannten MCI (Mild Cognitive Impairment), sollte über die Möglichkeiten einer Frühdiagnostik aufgeklärt werden.

„Auch wenn es noch nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist, gehen wir davon aus, dass frühe präventive Maßnahmen die Chance erhöhen, den Fortschritt der Erkrankung zu bremsen. Jeder sollte ein Recht haben, diese Option zu nutzen“, so Schulz.

Demenz: Recht auf Nichtwissen

Umgekehrt wird von einem Screening (kognitive Tests, Kurztests, apparative Verfahren) bei Personen ohne Beschwerden und Symptome – einzig mit dem Ziel, eine mögliche Demenzerkrankung auszuschließen – deutlich abgeraten. Anbieter solcher Privatleistungen für Selbstzahler werden von der Leitliniengruppe als unseriös angesehen.

Das Recht des Patienten auf Nichtwissen bleibt in jedem Fall bestehen: Die Frühdiagnostik kann nur nach vorheriger Aufklärung durch einen ausgewiesenen Experten, mit Einwilligung des Patienten und mit der entsprechenden Betreuung nach Diagnosestellung erfolgen.

Foto: Ocskay Bence

Hauptkategorien: Medizin , Pflege

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