Gesetzlich versicherten Patienten in Deutschland stehen im internationalen Vergleich sehr viele Leistungen zu. Was ihnen nicht zusteht, sind Untersuchungen oder Behandlungen, für die keine wissenschaftliche Evidenz vorliegt. Patienten können aber solche Dinge aus eigener Tasche bezahlen. Dann spricht man von einer individuellen Gesundheitsleistung - kurz IGeL. Laut dem Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverband (MDS) bekommt jeder zweit Patient beim Arztbesuch eine solche Selbstzahlerleistung angeboten. Aus der jetzt veröffentlichten Top-10-Liste geht hervor, welche IGeL am häufigsten in Anspruch genommen werden. Die Augeninnendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung steht dabei mit 22 Prozent auf Platz 1.Platz 2 belegt der Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung. 30 Prozent der befragten Frauen bekamen diese Leistung angeboten und machten davon Gebrauch. Weitere Topseller sind der Ultraschall des Bauchraums und der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs bei Männern.
Was Ärzte empfehlen, bewertet der IGeL-Monitor als negativ
Der MDS blickt mit Sorge auf diese Entwicklung, denn: Die Top 10 werden von Leistungen angeführt, die vom IGeL-Monitor als "negativ" oder "tendenziell negativ" bewertet worden sind. „Die IGeL-Angebote orientieren sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppen und an den Umsatzinteressen der Praxen“, kritisiert Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS. Zum Teil würden Patienten unter Druck gesetzt, damit sie solche Leistungen annehmen. „Das ist nicht hinnehmbar", erklärte Pick.
Tatsächlich kam bei der repräsentativen Umfrage heraus, dass nur vier Prozent der IGeL auf Initiative des Patienten erbracht werden. Das heißt, in mehr als 95 Prozent der Fälle schwatzt der Arzt den Patienten eine fragwürdige Leistung auf.
„Wenn Ärzte IGeL anbieten, dann geschieht das nur in seltenen Fällen auf Wunsch der Patienten", sagt Dr. Christian Weymayr Projektleiter des IGeL-Monitors. Mehr als jeder dritte Patient gab sogar an, dass er sich bedrängt oder unter Druck gesetzt fühlte. „Das bestätigt sich auch in den Zuschriften, die wir von Nutzerinnen und Nutzern des IGeL-Monitors erhalten", sagt Weymayr.
„Der IGeL-Markt gehört bereinigt“
Seiner Auskunft nach werden IGeL von den Ärzten oft als medizinisch notwendig verkauft. Dabei sei oft das Gegenteil der Fall: Beim Ultraschall der Eierstöcke handelt es sich sogar um eine Leistung, von der die Fachgesellschaft der Frauenärzte abrät, da in Studien kein Nutzen gezeigt werden konnte und es durch Überdiagnosen zu erheblichen Schäden kommen kann. Darum bewertet auch der IGeL-Monitor diese Untersuchung als tendenzielle negativ.
Dr. Michaela Eikermann, Leiterin des Bereichs Evidenzbasierte Medizin beim MDS, sieht hinter der IGeL-Praxis ein grundlegendes Problem: "Wissen und daraus abgeleitete Empfehlungen, die aus aufwändig entwickelten evidenzbasierten Leitlinien resultieren, kommen in der Arztpraxis nicht an“, kritisiert sie. Das vorhandene Wissen müsse in die Versorgung gebracht werden - hier sehe der MDS die medizinischen Fachgesellschaften und Fachverbände in der Pflicht. „Wir sehen ein großes Potenzial zur Bereinigung des IGel-Marktes und zum Schutz der Patientinnen und Patienten vor unnötigen und schädlichen Leistungen“, so die Expertin.
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