Rund 3.000 Menschen infizieren sich jedes Jahr in Deutschland mit dem Virus HIV – kaum weniger als vor zehn Jahren. "Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz wird die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland nicht wesentlich kleiner“, erklärt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. „Deshalb müssen wir neue Schutzmethoden fördern." Als erste große gesetzliche Krankenkasse hat die DAK jetzt signalisiert, künftig die Kosten für die medikamentöse HIV-Prophylaxe zu übernehmen.
Im Zentrum der so genannten Prä-Expositionsprophylaxe stehen Arzneimittel, die seit Jahren bei der Behandlung von HIV-Infizierten erprobt sind und zugleich auch vorbeugend eingesetzt werden können. Dafür nehmen Nicht-Infizierte mit besonders hohem Risiko vorsorglich ein HIV-Medikament mit zwei Wirkstoffen ein. Die PrEP könne bei regelmäßiger Einnahme der verordneten Medikamente das Ansteckungsrisiko fast vollständig ausschalten, heißt es in einer Mitteilung der DAK. Dabei hemmten die Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabin ein spezielles Enzym des HI-Virus und verhinderten somit, dass es sich im menschlichen Körper fortpflanzt. Maßgebliche Studien haben demnach einen Schutzeffekt von 96 Prozent ergeben. Das HI-Virus befällt und zerstört vor allem die Zellen des menschlichen Immunsystems. Dieses geschwächte Immunsystem ist dann nicht mehr in der Lage, andere Infektionen erfolgreich zu bekämpfen.
800 Euro statt 20.000: HIV-Prophylaxe ungleich günstiger als Therapie
Mit der Entscheidung für die PrEP folgt die DAK der Erkenntnis, dass Prävention nicht nur gesund erhält und Todesfälle vermeiden hilft, sondern auch schlicht günstiger ist als die Behandlung von Krankheiten. "Der Einzelne wird vor einer HIV-Infektion bewahrt und unsere Versichertengemeinschaft vor den damit verbundenen Folgekosten", betont der Verwaltungsratsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Dieter Schröder. Pro Jahr koste die medikamentöse HIV-Prophylaxe 800 Euro, eine HIV-Therapie hingegen meist im Schnitt 20.000 Euro.
Im Sommer 2018 hatte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür ausgesprochen, dass Personen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko einen gesetzlichen Anspruch auf ärztliche Beratung, Untersuchung und Arzneimittel zu Prä-Expositions-Prophylaxe erhalten sollen. Seit der Ausdehnung der Zulassung des HIV-Medikaments Truvada auch auf den Bereich der Prävention im Jahr 2016 mussten Interessenten die Kosten dafür selbst tragen. Der typische PrEP-Anwender in Deutschland wurde deshalb nicht zufällig beschrieben als „38 Jahre alt, homosexuell, überdurchschnittliches Einkommen“.
Nur die regelmäßige tägliche Einnahme schützt effektiv vor HIV
HIV-Experten sahen bei den Kosten deshalb seit einiger Zeit schon Handlungsbedarf. Die Ausgaben für Medikamente, ärztliche Beratung und begleitende Laboruntersuchungen können sich – je nach Bundesland – im Monat auf 150 bis 200 Euro belaufen. Schlechter Verdiendende könnten sich das nicht leisten, resümiert etwa Prof. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für HIV-Forschung an der Uni Duisburg-Essen. Die neue Schutzmethode könne zahlreiche Menschen vor HIV bewahren und so dazu beitragen, dass die Zahl der Neuinfektionen sinke. Handlungsbedarf sieht der Wissenschaftler auch bei der Aufklärung. Nach einer Studie seines Instituts nutzen viele Anwender das Medikament nur bei Bedarf und phasenweise. Eine unsachgemäße Prophylaxe aber könne aber weiterhin zu HIV-Infektionen führen und auch zu einer Resistenzbildung im Körper, zu einem Verlust der Wirksamkeit des Medikaments.
Gegen sexuell übertragbare Krankheiten helfen weiterhin nur Kondome
Nach Einschätzung der Deutschen Aids-Hilfe wird die medikamentöse HIV-Prophylaxe das Kondom nicht ersetzen. „Das Kondom bleibt für die meisten Menschen das einfachste Mittel, sich vor HIV zu schützen, und reduziert das Risiko anderer Geschlechtskrankheiten“, erklärt Aids-Hilfe Geschäftsführerin Silke Klumb. Manche Menschen brauchten dennoch die medikamentöse Prophylaxe, um sich nicht zu infizieren. Experten sehen in der PrEP einen wichtigen Vorsorge-Baustein für Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko. Dazu zählen insbesondere Männer, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben, Partner von HIV-Infizierten, Sexarbeiterinnen und -arbeiter oder Heroinabhängige, die sich die ihre Droge intravenös spritzen.