COVID-19-Simulator: Vier Wochen Teil-Lockdown zu kurz

Prof. Thorsten Lehr von Universität des Saarlandes zeigt die Entwicklung des Infektionsgeschehens in den nächsten Wochen auf: Im Dezember könnten die Intensivbetten knapp werden
Forscher der Universität des Saarlandes haben mit einem COVID-19-Simulator die Infektionsentwicklung in den kommenden Wochen berechnet. Danach lässt sich die starke Ausbreitung des Coronavirus nur mit Verzögerung ausbremsen, nicht aber in vier den Wochen des Teil-Lockdowns.
Selbst wenn die Reproduktionszahl auf 0,6 gedrückt werden könnte – so wie im Frühjahr – würde ein Monat nicht ausreichen, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen, haben die Forscher berechnet. Es gäbe auch dann noch bei über der Hälfte der Stadt- und Landkreise mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner im Schnitt der letzten sieben Tage gerechnet. Selbst bei dem sehr niedrigen und derzeit äußerst unrealistischen R-Wert von 0,3 lägen nach einem Monat noch knapp 20 Prozent der Stadt- und Landkreise über dem 7-Tages-Inzidenzwert von 50.
Intensivstationen füllen sich mit vierwöchiger Verzögerung
Der 7-Tages-Inzidenzwert von 50 gilt als die Schwelle, an der die örtlichen Gesundheitsämter überlastet sind. Ist eine Rückverfolgung nicht mehr möglich, so wie es vielerorts schon der Fall ist, geraten irgendwann auch die Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen. „Wir wissen aus der Entwicklung im Frühjahr, dass sich erhöhte Infektionszahlen erst mit mehrwöchiger Verzögerung auf die Belegung der Intensivstationen auswirken“, sagt Prof. Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes, der den Covid-19-Simulator gemeinsam mit Kollegen entwickelt hat. Daher seien trotz des verhängten Teil-Lockdowns die Spitzenbelegungen erst zwischen Mitte November und Anfang Dezember zu erwarten. „Mit unseren Simulationen mussten wir leider feststellen, dass unabhängig davon, wie stark man ab jetzt die weitere Ausbreitung des Coronavirus stoppen kann, im Dezember mindestens doppelt so viele Intensivbetten belegt sein werden wie zu Spitzenzeiten der ersten Welle“, so Lehr.
Lage jetzt anders als im Frühjahr
Im Unterschied zum Frühjahr fallen die Maßnahmen im November weniger drastisch aus, jedoch hat sich das Coronavirus jetzt flächendeckend in der Bevölkerung ausgebreitet. Das macht es schwierig vorherzusagen, wie gut der Teil-Lockdown das Infektionsgeschehen eindämmen kann. Die Forscher haben darum verschiedene Reproduktionsraten durchgerechnet, um zu zeigen, wie sich die Spannweite von nur geringem Rückgang, also einem Wert von 1,1, auf eine extreme Drosselung auf 0,3, auf die Krankenhausbelegung auswirken würde.
„Diese Simulationen machen sichtbar, dass die Wirkung der aktuellen Maßnahmen wahrscheinlich stärker sein müssten als bei dem ersten Lockdown im März“, betont Prof. Lehr. Nur so könne es gelingen, dass das Infektionsgeschehen wieder kontrollierbar werde. Kontrollierbar bedeutet, dass die Gesundheitsämter wieder in der Lage sind, die Kontakte der Infizierten nachzuverfolgen.
Erst unter 2.000 Neuinfektionen pro Tag ist wieder eine Kontrolle möglich
Um diese so wesentliche Nachverfolgung wieder zu gewährleisten, sei es sinnvoll, die Zahlen auf täglich unter 2000 Neuinfizierte zu drücken, sagt Lehr und er warnt:. „Wenn es uns nicht gelingt, die Reproduktionszahl in den kommenden Wochen deutlich zu senken, wird dies unweigerlich zu einer extremen Belastung des Gesundheitswesens im Dezember führen. Möglicherweise wird es daher Ende November noch zu früh sein, um wieder zu einem ‚normalen‘ Alltag zurückzukehren.“
Foto: ©Pasquale D'Angiolillo