COVID-19-Pandemie: „Vom Menschen selbst verursacht”

Bald ein Fall fürs Museum? Die Zerstörung der Artenvielfalt in der Natur durch den Menschen ist für Wissenschaftler des Konrad-Lorenz-Instituts eine selbstverschuldete Hauptursache der aktuellen Corona-Pandemie. – Foto: ©Alexey Protasov - stock.adobe.com
In den vergangenen drei Jahrzehnten sind drei Viertel aller Fluginsekten verschwunden (gemessen an der Biomasse). Wissenschaftler sprechen hier von einem „globalen Massen-Aussterben wie seit der Zeit der Dinosaurier nicht mehr“. Was das bedeutet, lässt sich am Beispiel der Bienen ablesen: Sollten sie aussterben, gäbe es keine Äpfel, keine Birnen, keine Kirschen mehr. Bienen bestäuben nicht nur fast alle Wildblumen – sie bestäuben auch drei Viertel der menschlichen Nutzpflanzen.
Ein Aussterben der Insekten hätte dramatische Folgen für das Leben auf der Erde insgesamt. Existenzbedrohlich wäre das auch für die Vögel, kleine Säugetiere, Fische und Reptilien, denn: Insekten stehen oft am Anfang der Nahrungskette. Außerdem reinigen sie Gewässer, beseitigen Aas, bauen Laub oder Totholz im Wald in Dünger um und halten damit die Böden fruchtbar. Fallen sie weg, trifft das andere Ökosysteme und Lebewesen wie im Dominoeffekt – und am Ende auch den Menschen, der lange glaubte, er könne sich die Natur Untertan machen, ohne dafür irgendwann zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine Studie aus Österreich kommt zu dem Schluss: Die aktuelle Pandemie ist eine Resultat negativer menschlicher Einflüsse auf die Umwelt und vor allem einer Zerstörung von Vielfalt durch Raubbau an der Natur.
Verlust an Vielfalt in der Natur begünstigt neue Infektionskrankheiten
„Wir können die Pandemie als Folge des vom Menschen verursachten Diversitätsverlustes der Geosphäre und Biosphäre betrachten, welcher sich rückwirkend auch auf die Vielfalt der Anthroposphäre auswirken kann” sagt Roberto Cazzolla Gatti, Erstautor der Studie und Forscher am „Konrad Lorenz Institut" (KLI) in Klosterneuburg bei Wien. Das KLI ist ein unabhängiges österreichisches Forschungsinstituts mit den Schwerpunkten Lebenswissenschaften und Nachhaltigkeitsforschung. Benannt ist es nach dem österreichischer Zoologen und Medizin-Nobelpreisträger Konrad Lorenz. Der KLI-Studie zufolge begünstige ein globaler Diversitätsverlust im biologischen, anthropologischen und geologischen Bereich die Entstehung von Zoonosen. Zoonosen sind neue Krankheiten, die nur entstehen konnten, weil ein Erreger vom Tier auf den Menschen überspringen konnte – die Coronaviruserkrankung COVID-19 ist nur die aktuellste davon.
„Neu auftretende Infektionskrankheiten waren in den letzten Jahrzehnten zumeist durch Erreger bedingt, die die Speziesbarriere vom Tier auf den Menschen überwunden hatten“, heißt es beim Robert-Koch-Institut. Einige Beispiele dafür: das 2002 erstmals ausgebrochene „Schwere akute Atemwegssyndrom“ (SARS), von dem die aktuelle Pandemie eine weitere Variante darstellt, ferner Geflügelinfluenza und Affenpocken, aber auch AIDS und BSE/Creutzfeldt-Jakob („Rinderwahnsinn“).
Stressfaktor Mensch schlecht für Widerstandskraft der Natur
Für die Wissenschaftler aus Österreich sind diese Probleme hausgemacht. Vom Menschen ausgehende Stressfaktoren, wie etwa die Ausbeutung biologischer und geologischer Ressourcen, führten zur verringerten Widerstandsfähigkeit der Natur und hätten schließlich drastische Auswirkungen auf natürliche und am Ende auch auf menschengemachte Systeme, so das Fazit der Wissenschaftler des Konrad-Lorenz-Instituts. Auch die unmittelbaren Reaktionen auf die Pandemie – wie etwa großräumige Lockdowns – brächten der Umwelt zwar kurzfristig Erleichterung, könnten aber ebenfalls negative Folgen haben.
COVID-19: Komplexes Phänomen – nicht bloß eine Krankheit
Ein Lösungsansatz, den die Wissenschaftler vorschlagen: „Wenn wir lernen wollen, mit der Pandemie umzugehen, müssen wir sie als komplexes globales Phänomen mit weitreichenden zeitlichen und räumlichen Wechselwirkungen verstehen.“ Derzeit mangle es jedoch gerade an solchen ganzheitlichen Forschungsansätzen. Das internationale wie interdisziplinäre Forscherteam des KLI streicht daher besonders die Zusammenhänge zwischen der COVID-19 Pandemie und der Umwelt als einem selbstregulierenden System heraus. „Diversität stellt wohl den wichtigsten Lösungsansatz dar, um mit Pandemien und ihren Folgen umzugehen“, sagt Guido Caniglia, Wissenschaftlicher Direktor des KLI und Mitautor des Artikels. Die Autor*innen rufen deshalb Wissenschaft, Politik und Gesellschaft eindringlich zu sofortigen Maßnahmen für Rehabilitation, Schutz und Förderung globaler Vielfalt auf.
Andere Studie: Fleischkonsum mitursächlich für Pandemie
Im Juni hatte eine Analyse der Albert-Schweitzer-Stiftung ebenfalls auf die Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Pandemie hingewiesen. Insbesondere die durch hohen Fleischkonsum verursachte Massentierhaltung erhöhe die Gefahr für die Entstehung von Pandemien. Durch die Rodung von Wäldern, etwa zum Anbau von Futtermitteln, würden die Lebensräume von Wildtieren immer kleiner. Wildtiere rückten immer näher an Menschen und Haustiere heran – bei wachsendem Risiko der Übertragung von Krankheitserregern auf den Menschen. Eine intensive Nutztierhaltung bedrohe dazu noch die Wirksamkeit von Antibiotika, was in der Zukunft zu weiteren ernsthaften Gesundheitskrisen führen könne.
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