COVID-19: Blutgruppe beeinflusst offenbar den Verlauf einer Corona-Infektion

Genomweite Studie: Blutgruppe A erhöht Risiko für schweren COVID-19 Verlauf um 50 Prozent, Blutgruppe 0 reduziert das Risiko um denselben Wert
Das neuartige Coronavirus SARS-COV-2 gibt Rätsel auf: Während die meisten Menschen kaum oder gar keine Symptome verspüren ist die Erkrankung COVID-19 für andere lebensbedrohlich. Früh war klar, dass alte und vorerkrankte Menschen deutlich öfter schwer an COVID-19 erkranken. Doch warum liegen auch junge und gesunde Menschen wochenlang auf der Intensivstation, müssen künstlich beatmet werden und sterben manchmal an ihrer Infektion mit dem Coronavirus?
Blutgruppe A ist Risiko für schweren Krankheitsverlauf
Dieser Frage sind Forscher der Universität Kiel zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen in der weltweit ersten großen genomweiten Studie nachgegangen. Untersucht wurden die genetischen Unterschiede an knapp 2.000 Intensivpatienten. Tatsächlich fanden die Forscher Genvarianten, die den Verlauf der Krankheit deutlich beeinflussen – eine davon betrifft das Gen für die Blutgruppeneigenschaft.
Die Analyse zeigt: Menschen mit der Blutgruppe A haben ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit Blutgruppe 0 hingegen waren um knapp 50 Prozent besser vor einer ernsten Covid-19-Erkrankung geschützt.
Die Studie bestätigte damit zwei frühere Studien, die anhand des Blutserums von Covid-19-Patienten bereits einen möglichen Zusammenhang zwischen der Blutgruppeneigenschaft und der Erkrankung beschrieben hatten. Zudem wurde schon bei SARS1 beobachtet, dass die Blutgruppe A ein Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf ist.
Blutproben aus Italien und Spanien ausgewertet
In der Studie wurden Blutproben von 1.980 Intensivpatienten untersucht, die mit Sauerstoff behandelt oder an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten. Die Proben stammten aus Corona-Epizentren in Norditalien und Spanien. Für die Kontrollgruppe wurden aus der Bevölkerung dieser Länder 2.205 zufällig ausgewählte Frauen und Männer gewonnen. Innerhalb von nur drei Wochen wurde im Institut für Klinische Molekularbiologie in Kiel die DNA aus den Blutproben isoliert und aus jeder Einzelnen 8,5 Millionen Positionen des Erbguts mit sogenannten Biochips (SNP-Arrays) vermessen. „Mithilfe dieser großen Datenmenge haben wir wirklich interessante Regionen im Genom identifiziert, die das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöhen beziehungsweise verringern“, sagt Prof. David Ellinghaus vom Institut für Klinische Molekularbiologie der Uni Kiel, der die bioinformatischen und statistischen Analysen durchführte. „Wir konnten, vereinfacht gesprochen, auf einer sehr großen Landkarte zeigen, wo die Musik spielt.“
Antikörper der Blutgruppe 0 blockieren ACE2-Rezeptor
Warum aber macht die Blutgruppe einen so großen Unterschied? Menschen mit Blutgruppe 0 haben Antikörper gegen die Blutgruppe A. Laut dem Virologen Prof. Alexander Kekulé blockieren diese Antikörper bis zu einem gewissen Grad den ACE2-Rezeptor, an dem das Virus andockt. Das bedeute aber keinen hundertprozentigen Schutz für Menschen mit Blutgruppe 0, so der Experte, schon gar nicht wenn sie alt sind oder an schweren Vorerkrankungen leiden.
Kritisch ist auch eine Genvariante auf Chromosom 3
Neben dem Gen, das die Blutgruppe bestimmt, fanden die Forscher noch eine zweite genetische Auffälligkeit auf dem Chromosom 3. „Welches der mehreren Kandidatengene, die dort lokalisiert sind, dafür verantwortlich ist, ist derzeit nicht genau zu ermitteln, allerdings konnte die Analyse nachweisen, dass Anlageträger einem zweifach erhöhtem Risiko ausgesetzt sind, schwer an Covid-19 zu erkranken, als Menschen, die diese Variante nicht tragen“, berichtet David Ellinghaus.
Unter den beatmeten Patienten trug eine besonders hohe Zahl diese genetische Anlage. Ein Resultat, das sich ebenso für die Verteilung der Blutgruppen zeigte: Unter den besonders schwer Erkrankten fanden sich auch besonders viele Menschen mit Blutgruppe A.
„Mit dem Chromosom 3 und dem AB0-Blutgruppen-Lokus beschreiben wir echte Ursachen für einen schweren Verlauf von Covid-19“, sagt Institutsdirektor Prof. Dr. Andre Franke. Die neuen Erkenntnisse seien einerseits für eine prognostische Einschätzung des Krankheitsverlauf wichtig, andererseits eine Basis, um neue Wirkstoffe entwickeln zu können.
Die Studie mit den Titel „Genome-wide association study of severe Covid-19 with respiratory failure“ war am 2. Juni auf einen Preprint-Server gestellt worden. In Kürze soll sie im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht werden.
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