COVID-19 am Lebensende: Wollen Sie wirklich auf der Intensivstation sterben?

Palliativmediziner warnt: Alte, multimorbide COVID-19-Patienten zahlen für die Intensivtherapie einen hohen Preis
Verdopplung der Intensivkapazitäten, Beschaffung von Beatmungsgeräten – die Politik setzt alles daran, das Leben von COVID-19-Patienten zu retten. Doch es mehrt sich Kritik an der einseitigen Orientierung auf die Intensivmedizin. Fakt ist, dass es sich bei den schwer erkrankten COVID-19-Betroffenen meistens um hochaltrige, vielfach erkrankte Menschen handelt. Rund 40 Prozent kommen schwerstpflegebedürftig aus Pflegeheimen. Vor diesem Hintergrund sieht der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns „alle ethischen Prinzipien verletzt, die wir so kennen.“
Palliativpatienten werden jetzt Intensivpatienten
„Es ist eine Gruppe, die üblicherweise und bislang immer mehr Palliativmedizin bekommen hat als Intensivmedizin, und jetzt wird so eine neue Erkrankung diagnostiziert und da macht man aus diesen Patienten Intensivpatienten“, sagte Thöns im Deutschlandfunk. Man müsse sich klarmachen, dass 97 Prozent bei einem schweren verlauf mit Atemversagen versterben - trotz Maximaltherapie. „So eine Intensivtherapie ist leidvoll, da stimmt ja schon das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden kaum.“
Thöns hält es zwar prinzipiell für richtig, so viele Menschen zu retten wie möglich, „doch nur mit den von Menschen gewollten Maßnahmen.“ Tatsächlich wisse man aus einer Untersuchung, dass 91 Prozent der Befragten Maßnahmen ablehnen würden, die mit dem hohen Risiko einer Behinderung einhergehen. Dieser Wille werde aber häufig missachtet oder sei zu Lebzeiten nicht eindeutig formuliert worden. „Es wird viel zu wenig darüber geredet“, kritisiert Thöns.
Ehrliche Aufklärung, was Intensivstation bedeutet
Der Palliativmediziner fordert darum eine ehrliche Aufklärung, was eine tage- oder wochenlange Beatmung auf der Intensivstation für einen multimorbiden älteren Menschen bedeutet: hohe Leidenslast, bleibende Behinderungen, Pflegebedürftigkeit, minimale Rettungschancen. „Wir müssen die Menschen fragen, ob sie isoliert von Ihrer Familie, getrennt am Lebensende beatmet auf einer Intensivstation liegen möchten, oder lieber mit dem Risiko, dass Sie das nicht überleben, zu Hause bleiben, gut leidensgelindert? Und ich sage Ihnen, die meisten alten Menschen werden diesen zweiten Weg gehen, wenn man denen das ehrlich sagt“, erklärte Thöns im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Zur Aufklärung gehöre auch, dass Palliativmedizin Leiden zu Hause lindern könne. Niemand müsse ersticken – auch ohne Maximalmedizin.
Spätestens jetzt sollte sich also jeder Gedanken machen, ob man eine intensivmedizinische Behandlung überhaupt will, und das auch so den Angehörigen mitteilen oder in die eigene Patientenverfügung schreiben.
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