Corona-Impfung: Keine Angst vor Spritzenphobie!

Schätzungen zufolge lehnen fünf bis sieben Prozent der Menschen eine Impfung allein deshalb schon ab, weil sie an einer Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie leiden. – Foto: benjaminnolte
Man sieht sie fast nicht, sie wiegt fast nichts, ihr Außendurchmesser beträgt 0,254 mm – das Doppelte eines kräftigen Erwachsenenhaars. Das Schlimmste, was passieren kann, wenn dieses Röhrchen aus foliendünnem Metall für Sekunden in die Haut gestochen wird, sind ein, zwei Tröpfchen Blut. Viele spüren bei der Impfung noch nicht mal einen Piks, weil die Kanüle am Ende mit einem Mehrfach-Facettschliff geschärft ist und fast widerstandslos ihren Weg in den Muskel findet, wo der Impfstoff deponiert werden soll. Trotzdem können viele den Anblick kaum ertragen beziehungsweise haben deshalb am meisten Angst davor, zur COVID-19-Impfung zu gehen. Eine völlig unbegründete Angst – aber eine menschliche.
Kurzzeit-Interventionsprogramm mit sechs Sitzungen
„Blutabnahmen, Impfungen oder kleine Eingriffe können bei manchen Menschen sehr starke Ängste und teilweise Ohnmacht auslösen, so dass sie diese vermeiden oder nur mit sehr hoher Belastung und Stress verbunden erleben“, sagt Angelika Erhardt, Oberärztin und Leiterin der Ambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie am Münchner Max-Planck-Institut. „Gerade jetzt, wo Impfungen gegen COVID-19 so wichtig sind, ist das ein großes Problem für die Betroffenen.“ Damit diese lebenswichtige Impfung an dieser behebbaren Hürde nicht scheitert, bietet das MPI ab sofort ein verhaltenstherapeutisches Kurzzeit-Interventionsprogramm an.
Therapie: In sanften Schritten hinsehen lernen
Bei Blut-, Spritzen- und Verletzungsphobie ist die sogenannte „In-vivo-Exposition" die Therapie der Wahl. Das bedeutet: Dabei führen die Therapeuten ihre Patienten schrittweise an das angstmachende Ereignis heran und konfrontieren sie damit. Geht es um eine Spritzenphobie, sehen sich die Betroffenen zunächst gemeinsam mit Therapeuten Bilder und dann Filme der Situation an bis sie so weit sind, eine Spritze zu erhalten beziehungsweise gepikst zu werden. Dies erfolgt in circa sechs Sitzungen. „Die Kurzintervention ist sehr wirksam“, sagt Angelika Erhardt, Leiterin der Ambulanz am MPI. „Auch wenn die Angst danach nicht komplett weg ist, sind Impfungen oder andere Interventionen in der Regel gut durchführbar.“
„Ich kann kein Blut sehen“: Woher das kommt
Die zentrale Angstreaktion bei der „Blut-Spritzen-Verletzungsphobie“ bezieht sich auf das Sehen von Blut, die Injektion selbst und den damit verbundenen Schmerzreiz sowie Kontrollverlust, zum Beispiel durch eine Ohnmacht. Wird die Phobie nicht behandelt, kann dies zur Folge haben, dass die Betroffenen wichtige Behandlungen oder Vorsorgeangeboten aus dem Weg gehen – jahrelang oder sogar fürs ganze Leben. „Die Ängste können so stark sein, dass sie notwendige medizinische Eingriffe oder auch Vorsorgemaßnahmen nur unter sehr hoher Belastung oder gar nicht wahrnehmen – womöglich mit negativen Folgen für ihre Gesundheit“, heißt es beim MPI weiter. Im Kindes- und jungen Erwachsenenalter ist die Zahl der Betroffenen mit circa 20 Prozent hoch, über die gesamte Lebensspanne beträgt die Prävalenz circa drei Prozent, da die Erkrankungshäufigkeit im höheren Alter deutlich absinkt.
Wie viele Erwachsene aufgrund einer Spritzenphobie eine Impfung ablehnen, wurde laut MPI bislang nur wenig untersucht. Sie betrage schätzungsweise aber 5 bis 7 Prozent in der Gesamtbevölkerung. 16 Prozent der in akuter Behandlung befindlichen Patienten seien betroffen, 18 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitssektor und 8 Prozent der Beschäftigten in Krankenhäusern.
Informationen zur Behandlung sowie zur Anmeldung auf der MPI-Website: