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„Corona erschwert nach psychischen Erkrankungen den Wiedereinstieg in den Alltag“

Donnerstag, 25. Februar 2021 – Autor: Anne Volkmann
Wegen Corona suchen Patienten mit psychischen Erkrankungen oft erst spät Hilfe. Auch der Wiedereinstieg in den Alltag ist häufig erschwert. Gesundheitsstadt Berlin hat mit dem Chefarzt der Psychiatrisch-Psychosomatischen Tagesklinik Waldfriede Dr. med. Herald Hopf darüber gesprochen, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die Psyche auswirkt und welche Veränderungen im klinischen Alltag zu bemerken sind.
Herald Hopf

– Foto: Krankenhaus Waldfriede

Dr. Hopf, wie stark wird unsere Psyche durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt?

Hopf: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Menschen, die verspüren sogar eine Erleichterung in dieser Situation, weil es anderen auch nicht besser geht und zum Beispiel ein bestimmter sozialer Druck nachgelassen hat. Die Mehrheit aber empfindet eine Zunahme des psychischen Drucks, weil sie Arbeit, Haushalt und nun auch noch das Homeschooling der Kinder unter einen Hut bekommen müssen. Dazu kommen Zukunftsängste, finanzielle Probleme und die Sorge vor einer Infektion.

Ist denn davon auszugehen, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angsterkrankungen tatsächlich zugenommen haben?

Hopf: Das ist schwer zu sagen. Was wir bemerken, sind vermehrte Anfragen nach therapeutischer Hilfe. Nachdem die Anfragen im vergangenen Frühjahr zunächst zurückgegangen waren, ist die Zahl seit einiger Zeit wieder angestiegen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Hopf: Wegen der Coronakrise haben sich viele Menschen nicht mehr getraut, in eine Klinik zu gehen. Da war natürlich die Angst vor einer Infektion. Zudem müssen in den Kliniken Masken getragen werden. Gerade wenn es einem psychisch nicht gut geht, kann das als sehr belastend empfunden werden. Es darf auch kein Besuch empfangen werden und die Patienten fühlen sich von der Außenwelt erst einmal abgeschnitten. Der Schritt, eine Klinik aufzusuchen, wird dadurch erschwert, und wir bemerken das an einer verspäteten Inanspruchnahme der Hilfsangebote. Das heißt die Patienten kommen erst in fortgeschritteneren Stadien zu uns, und das verlängert wiederum den Genesungsprozess. Hinzu kommt, dass es weniger Platz für Patienten gibt und dadurch die Wartezeiten zunehmen.

Haben sich auch die Themen, über die die Patienten sprechen, verändert?

Hopf: Die Sorgen und Probleme, mit denen die Menschen zu uns kommen, haben sich im Grunde nicht sehr verändert. Themen wie Einsamkeit oder Existenzängste gab es auch schon vorher, sie haben sich in der Krise nur teilweise zugespitzt und kommen vielleicht deutlicher zum Vorschein.

Wir befinden uns hier ja in Ihrer Tagesklinik in Steglitz. Was zeichnet eine tagesklinische Betreuung im Vergleich zu einem stationären Aufenthalt aus?

Hopf: Das Besondere der Tagesklinik ist, dass sich die Patienten einerseits in einem geschützten Rahmen aufhalten, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit haben, abends und am Wochenende in ihr „normales“ Leben zurückkehren zu können. Nach und nach bauen wir dann immer mehr Aktivitäten ein. So können neue Verhaltensweise hier eingeübt und dann gleich im Alltag ausprobiert werden. Je nach Gesundheitszustand kann dann die Belastung immer wieder angepasst und erhöht oder vermindert werden.

Das heißt, eine allmähliche Steigerung der Belastung gehört zur Therapie?

Hopf: Eigentlich sollte es gar nicht um Belastung gehen, sondern erst mal um Entlastung. Gerade depressive Menschen haben ja häufig einen erhöhten Leistungsanspruch an sich selbst. Das Wichtigste ist, die Energie so einzusetzen, dass sie sich vermehrt und nicht erschöpft. Es ist ja eine falsche Vorstellung, dass Depressive nur lethargisch sind und gar keine Energie haben. Vielmehr dreht der innere Motor hoch. Der Betroffene befindet sich also ständig unter einem immensen inneren Stress, während er äußerlich wie gelähmt wirkt. Diesen Stress wollen wir reduzieren und gleichzeitig die Freude und Lust, Dinge auszuprobieren, erhöhen.

Wie gestaltet sich der Wiedereinstieg in den Alltag unter den gegenwärtigen Bedingungen?

Hopf: Tatsächlich stellt uns die Coronakrise hier vor Herausforderungen. Gerade bei Angststörungen und Depressionen ist es ja wichtig, allmählich wieder im Alltag Fuß zu fassen. In der Regel ermutigen wir die Patienten dazu, wieder Freizeitveranstaltungen zu besuchen, sich mit Freunden zu treffen oder in den Sportverein oder ins Theater zu gehen. Das alles ist zurzeit nicht oder kaum möglich. Das heißt, die Patienten kehren nach dem Klinikaufenthalt meist wieder in ihre Familien zurück, wo ja oft die Probleme entstanden sind und sich auch nicht innerhalb von wenigen Wochen auflösen lassen. Auch für an Schizophrenie erkrankte Patienten ist es zurzeit besonders schwierig. Die akuten Phasen lassen sich in der Regel gut und auch schnell zurückdrängen, aber gerade für diese Patienten sind Strukturen im Alltag sehr wichtig, die zurzeit einfach nicht gegeben sind.

Wie begegnen Sie diesen Problemen?

Hopf: Wir bieten einigen Patienten Intervalltherapien an, d. h. sie bekommen bei der Entlassung konkrete Termine, zu denen sie wieder zum Gespräch zu uns kommen können. Auch die ambulante Therapie nimmt hier natürlich einen wichtigen Stellenwert ein.

Welche Unterschiede bemerken Sie durch die Coronakrise noch in Ihrem klinischen Alltag?

Hopf: Auch bei uns hat Corona natürlich Einfluss auf den Klinikalltag genommen. Auch hier müssen Masken getragen und Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Zudem wird jeden Morgen die Körpertemperatur gemessen und zweimal in der Woche ein Virustest durchgeführt. Das führt zum Teil auch zu Diskussionen unter den Patienten, da auch hier – wie in der Allgemeinbevölkerung – die Ansichten über die Maßnahmen zum Teil differieren. Insgesamt werden die Maßnahmen aber akzeptiert und es funktioniert ganz gut. Vor allem sind wir froh, dass wir die Patienten trotzdem abends und am Wochenende nach Hause entlassen können.

Sie sprachen davon, dass einige Menschen zu Beginn der Pandemie eher eine Erleichterung verspürt haben. Gibt es noch andere positive Auswirkungen der Coronakrise?

Hopf: Ja, es gibt zum Beispiel im Suchtbereich durchaus positive Entwicklungen, z. B. durch das Alkoholverkaufsverbot in der Nacht, oder auch weil Partys nicht mehr stattfinden. Manche Patienten erleben dadurch ein Nachlassen des Drucks. Andererseits ist das Aufsuchen von Selbsthilfegruppen erschwert und einige Kompensationsstrategien, wie z. B. abends ins Fitnessstudio zu gehen, sind weggefallen.

Sicherlich gibt es keinen Geheimtipp. Haben Sie aber trotzdem einen Rat, wie man gut durch die Coronakrise kommen kann?

Hopf: Tatsächlich bringt die Pandemie nicht nur negative Aspekte mit sich. Man kann die Krise auch als Gelegenheit sehen, wieder stärker mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Manche Menschen entdecken auch ihre Kreativität wieder. Und wenn der berufliche Weg in Frage steht, kann das auch eine Gelegenheit sein, zu überlegen, ob man eigentlich das macht, was man machen möchte. Für manche Menschen kann die Krise auch eine Chance sein.

Dr. med. Herald Hopf ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Chefarzt der Psychiatrisch-Psychosomatischen Tagesklinik Waldfriede in Berlin-Steglitz und Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Tageskliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (DATPPP).

Die Tagesspiegel-Sonderbeilage von Gesundheitsstadt Berlin zum Thema Corona und Psyche finden Sie hier.

Hauptkategorien: Corona , Medizin
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