Corona: Desinfektionsmittelgebrauch hat Folgen für die Umwelt
Wie der Name schon sagt: Desinfektionsmittel schützen uns vor Infektionskrankheiten. In Pandemiezeiten waren und sind sie deshalb unentbehrlich und allgegenwärtig. Doch nur weil sie Krankheitserreger abtöten, heißt das nicht, dass sie pauschal gesund und unbedenklich wären. Ein Forscherteam der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen und des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) hat draußen in der Natur Bodenproben genommen und Überraschendes festgestellt: Selbst weit entfernt etwa von Krankenhäusern sind Bestandteile von Desinfektionsmitteln nachweisbar. Sowohl Acker-, als auch Grünland-, Wald- und Weinbaustandorte sind mit diesen Substanzen belastet.
Desinfektionsmittel im Boden: Höhere Belastung als durch Medikamente
65 Bodenproben nahmen die Wissenschaftler in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf, Gießen, der Wetterau, dem Vogelsberg, Kassel und dem Raum Frankfurt. In 97 Prozent dieser Proben konnten „quartäre Alkylammoniumverbindungen“ (QAAV) nachgewiesen werden – das sind wichtige Wirkstoffe von Desinfektionsmitteln. „Die Gehalte der Desinfektionsmittel überschritten teilweise Werte von 1 mg kg-1 – und liegen damit zwei bis drei Größenordnungen oberhalb von Gehalten, wie sie für Arzneimittel und Antibiotika in Böden nachgewiesen wurden“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Gießen.
Noch unklar, wie Desinfektionsmittelrückstände in die Natur gelangen können
Stellt sich sofort die Frage: Wie kommen die Desinfektionsmittelrückstände dort hin? Und wie wirkt sich unser massenhafter Gebrauch von Desinfektionsmitteln auf unsere Umwelt aus? In einer an der JLU betreuten Doktorarbeit konnte gezeigt werden, dass vor allem Böden, die regelmäßig durch Hochwasser der Flüsse Rhein und Main überschwemmt werden, stark mit QAAV kontaminiert sind. Überraschend bei der jetzt erstellten Studie war für die Wissenschaftler, „dass QAAV selbst in Waldböden nachgewiesen werden konnten, obwohl ein unmittelbarer Eintrag durch Überschwemmungen oder beispielsweise über Gülle-, Klärschlamm- oder Pestizidausbringung wie auf landwirtschaftlichen Flächen in Wäldern allgemein nicht gegeben ist“.
Desinfektions-Substanzen können Antibiotika-Resistenzen verursachen
„Problematisch an QAAV und ihrem Vorkommen in der Umwelt ist, dass sie Antibiotika-Resistenzen verursachen können“, so das Fazit des Forscherteams aus Hessen. „Eine Verbreitung dieser Desinfektionsmittelgruppe in Böden ist deshalb kritisch zu sehen und könnte – wie der missbräuchliche Einsatz von Antibiotika – das Problem der Antibiotikaresistenzen zusätzlich verschärfen.“
Resistente Keime machen Antibiotika machtlos
Keime können Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, wenn beziehungsweise weil sie in der Human- und Tiermedizin zu oft oder zu ungenau eingesetzt werden oder weil Patienten sie nicht vorschriftsgemäß einnehmen (in zu niedriger Dosis oder zu kurz). Um sich selbst zu schützen, entwickeln Mikroorganismen eine Widerstandsfähigkeit (Resistenz). Das bedeutet, die Bakterien werden durch das Antibiotikum nicht mehr abgetötet oder in ihrem Wachstum gehemmt. Diese Abwehrmechanismen werden im bakteriellen Genmaterial verankert und an nachfolgende Generationen weitervererbt. Das Antibiotikum verliert somit seine Wirkung für die Therapie.
1,2 Millionen Tote jährlich durch Antibiotika-Resistenzen
Antibiotika-Resistenzen zählen schon heute zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Allein im Jahr 2019 waren rund 1,2 Millionen Todesfälle zu beklagen, weil Krankheitskeime gegen Antibiotika Resistenzen entwickelt hatten und die oft lebensrettenden Medikamente in diesen Fällen machtlos waren. Das ergab eine im Fachmagazin „The Lancet“ publizierte internationale Studie. Bei fast fünf Millionen Todesfällen war eine solche Infektion demnach mindestens mitverantwortlich für den Tod. Zum Vergleich: An HIV/Aids starben 2020 geschätzt 680.000 Menschen, an Malaria 627.000.
Nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation WHO werden Antibiotika-Resistenzen im Jahr 2050 voraussichtlich die größte Gesundheitsbedrohung für Menschen darstellen – noch vor Krebs. Zehn Millionen Todesfälle pro Jahr weltweit könnten dann auf das Konto von Antibiotika-resistenten Keimen gehen.
Häufige Resistenzen bei Lungenentzündungen
Zu Problemen mit Resistenzen kam es demnach besonders häufig bei Infektionen der unteren Atemwege, also etwa einer Lungenentzündung. Diese allein verursachten 400.000 Todesfälle. Besonders viele Menschen starben auch infolge von Blutvergiftungen und Blinddarmentzündungen, weil die Infektion aufgrund resistenter Erreger mit Antibiotika nicht beherrschbar war. Allein der gefürchtete Krankenhauskeim MRSA verursachte 100.000 Todesfälle.