Chirurgen starten Versorgungsstudie Synchronous
Therapieentscheidungen sollten auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen beruhen. Doch das ist nicht immer der Fall. Selbst bei häufigen und komplexen Erkrankungen wie Darmkrebs entscheidet oft die Fachrichtung des betreuenden Arztes, wie der Patient weiterbehandelt wird. So wird ein Teil der Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs zuerst operiert und bekommt dann eine Chemotherapie, bei anderen verhält es sich genau umgekehrt. Welche Behandlungsstrategie generell besser ist, wissen Ärzte bislang nicht, weil hierzu keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vorliegen.
SYNCHRONOUS-Studie: bessere Grundlage für Therapieentscheidungen
Diese Wissenslücke will das Studienzentrum der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (SDGC) mit der kürzlich gestarteten multizentrischen, klinischen SYNCHRONOUS-Studie schliessen. Patienten und Ärzte sollen künftig eine bessere Grundlage für Therapieentscheidungen bekommen.
Die Studie untersucht, ob das chirurgische Entfernen des Darmtumors vor einer Chemotherapie den Krankheitsverlauf günstig beeinflusst. Sie schliesst insgesamt 800 Patienten mit fortgeschrittenem, unheilbarem Darmkrebs im Stadium IV ein, deren Darmtumor bisher keine lokalen Komplikationen, wie etwa Darmverschluss oder Blutungen, verursacht. Unbehandelt beträgt die Lebenserwartung dieser Patienten im Schnitt zwölf Monate, mit einer medikamentösen Chemotherapie etwa 24 Monate. Es gibt Hinweise auf einen positiven Effekt, wenn der Tumor vor der Chemotherapie entfernt wird. Demgegenüber steht das Risiko von OP-Komplikationen. Ausserdem verzögert sich durch den Eingriff der Beginn der Chemotherapie.
Versorgungsnahe Forschung ist ein Stiefkind der Medizin
An der Versorgungsstudie nehmen rund 100 Kliniken in ganz Deutschland teil. Die Patienten werden nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Behandlungsgruppen zugeteilt. Den Patienten der Gruppe I wird vor der Chemotherapie der Darmtumor entfernt, die Patienten der Gruppe II erhalten sofort die Chemotherapie. Die Patienten werden drei Jahre lang betreut und regelmässig zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer Lebensqualität befragt.
"Die Randomisierung ist notwendig, um eine möglichst hohe wissenschaftliche Aussagekraft der Studie zu garantieren", sagt Professor. Dr. med. Jürgen Weitz, Studienleiter und leitender Oberarzt an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg. Sie sei nur deshalb ethisch vertretbar, weil Ärzte keine Daten darüber hätten, welche Behandlungsstrategie wirksamer sei. Mit ihrer Teilnahme an der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SYNCHRONOUS-Studie tragen die Patienten dazu bei, die Behandlung von Darmkrebspatienten zukünftig zu verbessern. Im November 2011 wurde der erste Patient in die Studie eingeschlossen.
"Therapieentscheidungen müssen auf wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen beruhen", fordert Professor Büchler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Die Fachrichtung des erstdiagnostizierenden Arztes darf nicht ausschlaggebend für die Weiterbehandlung sein nach dem Motto: Ist er Onkologe, erhält der Patient eine Chemotherapie, ist er Chirurg, wird zunächst operiert", ergänzt Professor Weitz.
Deshalb gründete die DGCH im Jahr 2003 das Studienzentrum SDGC, das nach den Prinzipien der Good Clinical Practice (GCP) systematisch wichtige Versorgungsfragen aus dem chirurgischen Alltag wie OP-Techniken und Behandlungsstrategien untersucht. "Ohne versorgungsnahe Forschung gibt es keine evidenzbasierte Medizin und ohne sie keinen medizinischen Fortschritt", fasst Privatdozent Dr. med. Markus Diener, Leiter des SDGC, zusammen. Leider sind Versorgungsstudien Mangelware in der Chirurgie. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Aufwand einer klinischen Studie sei immens. "Sechs bis zehn Jahre konzentrierte Arbeit stecken in einer einzigen Studie - und sie kann mehrere Millionen Euro kosten", so Diener. Die Finanzierung dieser Forschung sei bisher nicht geregelt. Darüber hinaus mangele es an Forschern. Das liege daran, dass Veröffentlichungen, die Eintrittskarte für eine wissenschaftliche Karriere, viel leichter im Labor als mit klinischen Studien zu erzielen seien.