
Ein Eiweißfragment kann helfen, der Verlauf von Alzheimer vorherzusagen – Foto: ©LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com
Jahre bevor erste Symptome einer Alzheimer-Erkrankung auftreten, verändert sich bereits das Gehirn, und Nervenzellen werden abgebaut. Das hinterlässt Spuren im Blut. Anhand eines bestimmten Eiweißstoffes lässt sich der Krankheitsverlauf lange vor dem Auftreten der ersten klinischen Anzeichen genau verfolgen.
Das zeigten Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und des Universitätsklinikums Tübingen. Der Bluttest auf dieses Eiweiß bietet neue Möglichkeiten in der Therapieforschung.
Bisherige Alzheimer-Therapien setzen viel zu spät an
"Dass es noch keine wirksame Therapie gegen Alzheimer gibt, hängt vermutlich damit zusammen, dass die bisherigen Therapien viel zu spät einsetzen", sagt Mathias Jucker, Leiter der aktuellen Studie. Um bessere Behandlungsverfahren zu entwickeln, brauchen Wissenschaftler eine verlässliche Methode, mit der sie den Krankheitsverlauf verfolgen und vorhersagen können, bevor Symptome wie Gedächtnisstörungen einsetzen.
Ein Bluttest eignet sich dazu viel besser als teure Gehirnscans. In jüngster Zeit wurden bei der Entwicklung solcher Bluttests einige Fortschritte erzielt. Die meisten dieser Verfahren beruhen auf dem Nachweis sogenannter Amyloid-Proteine. Bei einer Alzheimer-Erkrankung sammeln sich diese Proteine im Gehirn an, und sie treten auch im Blut auf.
Abbau der Nervenzellen hinterlässt eine Spur im Blut
Jucker und Kollegen verfolgen jedoch einen anderen Ansatz. "Unser Bluttest misst nicht das Amyloid, sondern das, was es im Gehirn anrichtet, nämlich Neurodegeneration. Anders gesagt: den Tod von Nervenzellen", sagt Jucker. Wenn Hirnzellen absterben, lassen sich ihre Überreste im Blut nachweisen.
"Normalerweise werden solche Proteine im Blut aber schnell abgebaut und eignen sich daher nicht sehr gut als Marker für eine neurodegenerative Erkrankung", erklärt Jucker. Eine Ausnahme bilde jedoch ein kleines Stückchen eines sogenannten Neurofilaments, das gegen diesen Abbau erstaunlich resistent sei.
Bluttest kann Verlauf von Alzheimer vorhersagen
Auf diesem Eiweißstoff basiert der Bluttest von Jucker und Kollegen. In der aktuellen Studie zeigen die Wissenschaftler, dass sich das Filament schon lange vor dem Auftreten klinischer Symptome - also in der sogenannten präklinischen Phase - im Blut anreichert, dass es sehr empfindlich den Verlauf der Alzheimer-Krankheit widerspiegelt und Vorhersagen über künftige Entwicklungen ermöglicht.
Die Studie beruht auf Daten und Proben von 405 Personen, die im Rahmen eines internationalen Forschungsverbunds - dem "Dominantly Inherited Alzheimer Network" (DIAN) - erhoben wurden. Beteiligt sind neben dem DZNE, dem HIH und dem Universitätsklinikum Tübingen auch die Washington University School of Medicine in St. Louis sowie weitere Einrichtungen in aller Welt.
Alzheimer-Erkrankung schon im mittleren Alter
Dieses Netzwerk untersucht Familien, bei denen aufgrund genetischer Veränderungen eine Alzheimer-Erkrankung schon im mittleren Alter auftritt. Genetische Analysen erlauben recht genaue Vorhersagen darüber, ob und wann ein Familienmitglied an Demenz erkranken wird.
Bei diesen Personen verfolgten Jucker und Kollegen die Entwicklung der Filament-Konzentration von Jahr zu Jahr. Dabei stellten sie fest: Bis zu 16 Jahre vor dem errechneten Eintreten von Demenzsymptomen gab es im Blut auffällige Veränderungen.
Zeitliche Entwicklung der Filament-Konzentration aussagekräftig
"Es ist nicht der absolute Wert der Filament-Konzentration, sondern deren zeitliche Entwicklung, die aussagekräftig ist" sagt Jucker. In weiteren Untersuchungen zeigten die Wissenschaftler, dass die Veränderung der Neurofilament-Konzentration den neuronalen Abbau sehr exakt widerspiegelt und gute Prognosen darüber erlaubt, wie sich das Gehirn in den nächsten Jahren entwickeln wird.
"Wir konnten Vorhersagen über den Verlust von Hirnmasse und über kognitive Beeinträchtigungen machen, die dann zwei Jahre später tatsächlich eingetreten sind", so Jucker in einer Pressemitteilung.
Zusammenhang mit Amyloid-Proteinen weniger ausgepägt
Während sich also herausstellte, dass die Veränderungsrate der Filament-Konzentration und der Abbau von Hirngewebe eng miteinander korrelierten, war der Zusammenhang mit der Ablagerung toxischer Amyloid-Proteine weit weniger ausgeprägt.
Diese Beobachtung stützt die Annahme, dass Amyloid-Proteine zwar ein Auslöser der Erkrankung sind, der neuronale Abbau im weiteren Verlauf jedoch unabhängig erfolgt. Die Studie wurde in der Zeitschrift Nature Medicine veröffentlicht.
Foto: lightfield studios/fotolia.com