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Blinddarm und Parkinson: Wie Experten die Studie bewerten

Donnerstag, 20. Dezember 2018 – Autor:
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie haben Menschen ohne Blinddarm ein geringeres Parkinsonrisiko. Nun hat die Deutsche Gesellschaft für Neurologie dazu Stellung bezogen.
Parkinson, Blinddarm

Lauern im Blinddarm Gefahren? Eine Studie zeigt, dass es einen Zusammenhang zu Parkinson gibt – Foto: ©Siam - stock.adobe.com

Kann man sich durch eine Entfernung des Blinddarms (Appendix) vor Morbus Parkinson schützen? Diese Frage stellen sich viele, nachdem eine kürzlich veröffentlichte Studien zeigte: Menschen, bei denen vor Jahrzehnten der Blinddarm entfernt wurde, haben ein geringeres Parkinsonrisiko. Basis waren zwei große epidemiologischen Studien („Swedish National Patient Registry“ und „The Parkinson´s Progression Markers Initiative“), in denen fast 1,7 Millionen Menschen ab 1964 eingeschlossen wurden. Davon hatte ein knappes Drittel, 551.647 Personen, keinen Wurmfortsatz des Darmes mehr.

Blinddarmoperierte erkranken seltener an Parkinson

Von denen, die keinen Blinddarm mehr hatten, erkrankten 644 an Parkinson, was einer Rate von 1,6 Betroffenen pro 100.000 Patienten entspricht. Demgegenüber lag die Erkrankungsrate in der Gruppe derer, die mit Appendix leben, mit 1,98 pro 100.000 Menschen signifikant höher. Weiter zeigte die Studie, dass die Parkinsondiagnose bei denen, die sich 20 Jahre oder noch weiter zuvor einer operativen Entfernung des Wurmfortsatzes, einer sogenannten Appendektomie, unterzogen hatten, 1,6 Jahre später gestellt wurde als bei den nicht Nicht-Operierten. Die Blinddarmentfernung (Appendektomie) war also mit einem späteren Einsetzen der Parkinsonerkrankung assoziiert.

Für propyhlaktische OP ist es noch zu früh

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat nun den vermeintlichen Zusammenhang bewertet. Da die Studie keine Kausalität liefere, gebe es zur prophylaktischen Blinddarmentfernung keinen Anlass, heißt es zunächst in der Stellungnahme der DGN. „Die Schlussfolgerung zu ziehen, alle Menschen vorsorglich zu appendektomieren, wäre voreilig und gesundheitspolitisch nicht zu vertreten“, betont Professor Günther Deuschl, Kiel. Schließlich müsste man etwa 250.000 bis 300.000 Menschen vorsorglich operieren, um möglicherweise am Ende einem Patienten die Diagnose Parkinson zu ersparen.

Keine Kausalität nachgewiesen

Außerdem ist laut dem Experten noch unklar, ob man diesem einen Menschen wirklich die Parkinsondiagnose ersparen kann. Denn die Studie sei lediglich eine Assoziationsstudie gewesen. „Sie zeigte, dass das Risiko, an Parkinson zu erkranken, bei Menschen, die sich einer Appendixentfernung unterzogen hatten, geringer war. Sie liefert aber keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass auch der Umkehrschluss gilt, dass durch eine Operation ein Morbus Parkinson verhindert oder verzögert werden kann“, so Deuschl. Hierfür müssten prospektive, randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien durchgeführt werden, was aber angesichts der dann benötigten Fallzahlen unrealistisch sei, so der Experte weiter.

Krankmachende Proteine im Blinddarm gefunden

Dennoch liefert die Studie aus DGN-Sicht wertvolle Erkenntnisse. Die Studienautoren hatten nämlich herausgefunden, dass sich auch im Blinddarm Alpha-Synuclein anhäuft – ein Protein, das als Krankheitsauslöser gilt. Nach heutigem Erkenntnisstand lagern sich bei Morbus Parkinson diese Proteine in Nervenzellen an und führen zum Absterben von Gehirnzellen.Andere Studien hatten gezeigt, dass das Protein im gesamten Enddarm zu finden ist, bei gesunden als auch bei Parkinsonpatienten. 

Die Hypothese von Heiko Braak, einem einflussreichen deutschen Neuroanatomen, besagt, dass dieses pathologische Alpha Synuclein über den Nervus Vagus ins Gehirn einwandert und dort die Krankheit auslöst. Das Fazit der jetzigen Studie lautete daher, dass der Blinddarm eine mögliche Rolle bei der Entwicklung des Morbus Parkinson spielen könnte. Bei den an Parkinson erkrankten Menschen war in der Studie doppelt so viel monomeres Alpha-Synuclein im Appendix gefunden worden wie bei den gesunden Studienteilnehmern. Auffällig war auch, dass Parkinsonpatienten einen vierfach erhöhten Spiegel einer verkürzten Form des Alpha-Synuclein in der Appendix aufwiesen.

„Die vorliegende Studie eröffnet Perspektiven für eine verbesserte Diagnostik und Therapie – und somit ein spannendes, weites Forschungsfeld“, sagt Deuschl. „Möglicherweise können wir mit Hilfe dieser Erkenntnisse neue Biomarker finden, wie zum Beispiel bestimmte Alpha-Synuclein-Aggregate im Wurmfortsatz, die möglicherweise einen Morbus Parkinson vorhersagen können.“ Auch gelte es zu erforschen, ob solche Aggregate zukünftige Therapietargets darstellen könnten. „Insofern könnte diese Studie durchaus einen Meilenstein im Kampf gegen Parkinson darstellen“, so Deuschl.

Foto: © Siam - Fotolia.com

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin
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