
Die Bindung an einen Hausarzt kann Patienten Vorteile bringen – Foto: ©goodluz - stock.adobe.com
Wer sich in einen Hausarztvertrag einschreibt, verpflichtet sich, immer zunächst zu seinem Hausarzt zu gehen, welcher dann die weitere Versorgung strukturiert und nach Bedarf an andere Ärzte überweist. Dies ist offenbar zum Nutzen der Patienten, wie eine Evaluation der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Baden-Württemberg nun zeigt. Durchgeführt wurde die Studie von dem Universitätsklinikum Heidelberg und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Den Ergebnisse zufolge leben Patienten, die in einen Hausarztvertrag eingeschrieben sind, länger, werden seltener ins Krankenhaus eingewiesen und erhalten eine bessere Arzneimittelversorgung.
Hausarztverträge verhindern Doppeluntersuchungen
Die Hausarztzentrierte Versorgung wurde vom Gesetzgeber im Jahr 2004 auf den Weg gebracht. Heute sind etwa 1,6 Millionen Patienten in einen Selektivvertrag eingeschrieben, die meisten von ihnen chronisch Kranke. In Baden-Württemberg wird die HzV besonders gefördert.
Durch die Hausarztverträge sollen unter anderem Doppeluntersuchungen und unnötige Facharztbesuche vermieden werden. Der Hausarzt übernimmt dabei eine Lotsenfunktion. Er koordiniert die Behandlung, bindet bei Bedarf Fachärzte mit ein und kümmert sich um die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Teilnehmende Hausärzte müssen sich regelmäßig fortbilden, an Qualitätszirkeln teilnehmen und in ihrer Praxis ein Qualitätsmanagement etablieren. Dafür erhalten sie eine höhere Vergütung als normalerweise.
Studie scheint Kritiker zu widerlegen
Kritiker halten dem Modell entgegen, dass es die freie Arztwahl einschränke und dass Hausärzte bei komplexen Erkrankungen überfordert sein können. Auch werden die Hausärzte in den Verträgen dazu angehalten, Einsparungen vorzunehmen. Zu den Vorteilen gehört jedoch, dass der Hausarzt alle Verordnungen im Blick hat und eventuelle Überschneidungen oder Wechselwirkungen verhindern kann. Gerade bei multimorbiden Patienten, die von verschiedenen Fachärzten behandelt werden, hat sonst kaum jemand Überblick über alle Therapien.
Die neue Studie zeigt auch, dass Patienten mit Hausarztverträgen öfter von ihrem Arzt gesehen und in den Hausarztpraxen intensiver betreut werden. Besonders Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder Herzinsuffizienz sowie Diabetiker profitieren den Ergebnissen zufolge von der HzV. Sie erleiden deutlich weniger Komplikationen, Nierenschäden, Erblindungen, Fußamputationen, Herzinfarkte und Schlaganfälle, wie Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main, erklärt. Zudem entfallen pro Jahr etwa 1,2 Millionen unkoordinierte Facharztkontakte.
Weniger Krankenhausaufenthalte und Medikamente
Auch die Menge der Krankenhausaufenthalte sowie potenziell problematischer Medikamente konnte durch die Verträge reduziert werden. Rund 46.000 Tage weniger verbrachten die 166.000 untersuchten Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit im Krankenhaus. Bei 89.000 älteren Patienten wurden in der HzV-Gruppe zudem 5.400 Arzneimittel weniger pro Jahr aus der Priscus-Liste verordnet als in der Kontrollgruppe. Die Priscus-Liste enthält Medikamente, die für Menschen ab 65 Jahren als potenziell inadäquat gelten.
Hausarztverträge führen weiterhin dazu, dass mehr Menschen über 60 Jahren gegen Influenza geimpft worden, so wie es die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission vorsehen. Auch wurden in der HzV-Gruppe 8,5 Prozent weniger Versicherte infolge von Rückenbeschwerden krankgeschrieben als in der Kontrollgruppe. „Wir können mit zunehmender Sicherheit sagen, dass HzV-Patienten in vielen Bereichen besser versorgt sind“, erklärt Gerlach.
Diabetiker profitieren besonders von Hausarztverträgen
Offensichtlich wirken die geregelten Strukturen einer Hausarztzentrierten Versorgung besonders positiv auf den Krankheitsverlauf von Diabetikern. „Unsere Analysen zeigen sehr deutlich, dass bei HZV-Patienten mit Diabetes mellitus deutlich weniger und zeitlich später schwerwiegende diabetesbedingte Komplikationen auftreten“, betont Gerlach. „Konkret kommen bei Diabetikern in der HZV Dialyse, Erblindung und Amputationen sowie auch Herzinfarkte und Schlaganfälle seltener vor“, so der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.
Ein sehr bemerkenswerter Effekt sei der signifikante Überlebensvorteil zugunsten der HZV-Versicherten, erklärt Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg und einer der Studienautoren. „Wir können zwar, durch die Evaluationsmethodik bedingt, noch nicht alle möglichen Einflussfaktoren auf das Überleben von Patienten kontrollieren. Dennoch zeigt sich bei Betrachtung des Fünfjahreszeitraums 2012 bis 2016, dass das Risiko zu versterben in der HZV geringer ist, als in der Regelversorgung. Das zugrundeliegende statistische Überlebenszeitmodell weist eine Zahl von knapp 1.700 vermiedenen Todesfällen in der HZV aus“, so der Experte.
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