Beatmungsmediziner: Nicht alles schlecht an der Intensivpflege Reform

Intensivpflege Reform: Menschen, die künstlich beatmet werden, dürfen künftig nur noch in Ausnahmefälle zu Hause leben – Foto: ©Merpics - stock.adobe.com
Früher hieß es Heimbeatmung, heute heißt es außerklinische Intensivpflege. Gemeint ist, dass Menschen dauerhaft künstlich beatmet werden müssen. Das geschieht entweder zu Hause, in einer Intensivpflege WG oder in stationären Einrichtungen. Ungerecht an der bisherigen Regelung ist, dass vollstationäre Patienten bis zu 3.000 Euro im Monat dazuzahlen müssen, während die Sozialkassen im ambulanten Bereich 100 Prozent finanzieren. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will das und anderes nun mit seinem Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ ändern.
Ambulante Beatmung nur noch in Ausnahmefällen
Vorgesehen ist unter anderem eine Angleichung der Finanzierung, das heißt der Eigenanteil für stationäre Patienten soll spürbar sinken. Aber: Eine Heimbeatmung soll es nur noch in Ausnahmefällen geben. Während Spahn höhere Qualitätsstandards verspricht, fürchten Betroffene, sie könnten gegen ihren Willen ins Heim abgeschoben werden.
Zudem sehen sich Pflegedienstanbieter kriminalisiert, weil ihnen mangelnde Qualität und Abrechnungsbetrug unterstellt wird. Spahn spricht von „Fehlanreizen“. Immerhin zahlen die Kassen für eine 1:1 Betreuung von außerklinischen Intensivpatienten 25.000 bis 30.000 Euro im Monat. Da wurde in der Vergangenheit schon mal der eine oder andere Patient, als kränker deklariert, als er ist. Einige Fälle sind aufgeflogen.
Schwarze Schafe gibt es überall
Ja, es gebe schwarze Schafe in der Branche, bestätigte Dr. Martin Bachmann Beatmungsmediziner am Asklepios Klinikum Harburg und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Beatmungsmedizin am Freitag im Rahmen des Demografiekongresses in Berlin. „Aber wir können ja auch nicht das Autofahren verbieten, nur weil es ein paar Raser gibt.“
Insgesamt hält der Experte den Referententwurf für zu wenig an den Bedarfen der Patienten orientiert und für zu wenig differenziert. „Durch die quasi Abschaffung der 1:1 Versorgung gibt das Gesetz keine Perspektive für Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben“, kritisierte der Mediziner. Zudem seien Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen überhaupt nicht erwähnt. „Das geht völlig an der Realität vorbei.“
Doch der Beatmungsmediziner findet nicht alles schlecht an Spahns Intensivpflegereform: Positiv seien die gerechtere Finanzierung und die Stärkung der Reha- und Weaningeinrichtungen. „Es wurde immerhin erkannt, dass es einen großen Änderungsbedarf gibt“, sagte Bachmann.
Momentan ist es so, dass 85 Prozent der außerklinischen Beatmungspatienten direkt von der Akut-Intensivstation entlassen werden – meist viel zu früh. Eine Chance das selbstständige Atmen wiederzuerlernen hatten sie nicht bzw. nicht die Zeit dafür, da die Verweildauer im Krankenhaus immer kürzer wird.
Nach Spahns Entwurf soll künftig mehr für die Entwöhnung, das sogenannte Weaning unternommen werden. Fachärzte sind gehalten das Entwöhnungspotenzial zu erheben und dokumentieren.
„Müssen auch fragen, ob die Patienten das wollen“
Bachmann findet das immer wieder Hinterfragen enorm wichtig. Da werde viel versäumt. Patienten hingen oft jahrelang an der künstlichen Beatmung, obwohl sie Weaningpotenzial hätten. Andere wollten lieber sterben. Die Lebensqualität vieler Betroffener sei extrem schlecht, ein großer Anteil leide an Depressionen, stellte der Experte fest. „Wir müssen auch immer wieder fragen, ob die Patienten das noch wollen.“
Die Zahl der außerklinischen Beatmungspatienten ist seit 2005 explodiert von damals 1.000 auf heute 30.000 Patienten. Die Gründe hierfür hängen einerseits mit den neuen technischen Möglichkeiten der Heimbeatmung zusammen und andererseits mit dem demografischen Wandel. Ein weiterer Grund ist, dass immer mehr alte und multimorbide Menschen noch operiert werden - zum Beispiel ein neues Hüftgelenk erhalten - und anschließend nicht mehr selbstständig atmen können, weil es Komplikationen gab, etwa eine Lungenentzündung. „Die medizinischen Möglichkeiten werden extensiv ausgereizt, aber wurden die Patienten auch über die Risiken aufgeklärt?“, fragte Bachmann rhetorisch. Würden die Patienten ausreichend aufgeklärt, würden sich vermutlich viele dagegen entscheiden, meinte er.
Zahl der Beatmungspatienten explodiert
Den größten Anteil der außerklinischen Beatmungspatienten stellen heute Menschen, die von einer Intensivstation entlassen werden und bei denen eine Beatmungsentwöhnung fehlgeschlagen ist. Zudem wächst der Anteil der Patienten mit Trachealkanüle, die rund um die Uhr betreut werden müssen, etwa COPD-Patienten. Die drittgrößte Gruppe sind Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen wie ALS oder einer Querschnittslähmung. In diese Gruppe gehören vorwiegend jüngere Menschen. Jedes Jahr werden 165.000 Menschen beatmungspflichtig, weil sie alt sind, krank sind oder einen Unfall hatten.
Für die 1:1 Betreuung zu Hause, die Spahn jetzt kappen will, sind pro Patient und Tag 5,6 Pflegekräfte nötig. Angesichts des Pflegefachkräftemangels und des wachsenden Bedarfs, kommt Spahns Gesetzesentwurf bei Kassenvertreten gut an. Dass jetzt bundesweit einheitliche Strukturen geschaffen würden und die Beatmungsentwöhnung gestärkt werde, sei der richtige Weg, meinte Dietmar Frings von der AOK Rheinland/Hamburg auf dem Demografiekongress. „Diesen Ansatz begrüßen wir.“
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