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Bandscheibenvorfall: Operation in vielen Fällen unnötig

Sonntag, 27. Januar 2019 – Autor:
Ein Bandscheibenvorfall ist schmerzhaft und schränkt die Lebensqualität für Wochen ein. Experten der „Aktion Gesunder Rücken“ warnen aber vor der überstürzten Entscheidung für eine Operation. Sie raten stattdessen, Geduld für eine nicht-operative Therapie mitzubringen und auf die Selbstheilungskräfte des Körpers zu vertrauen.
Bandscheibenvorfall - Grafik schematischer Mensch, Schmerzpunkt rot

Rund 164.000 Operationen werden jährlich in Deutschland bei akutem Bandscheibenvorfall durchgeführt. Viele sind überflüssig, manche sogar schädlich.

Rückenleiden werden immer mehr zur Volkskrankheit. Seit 2007 stieg die Zahl der Operationen im Rückenbereich um mehr als 70 Prozent, heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. In 85 Prozent dieser Fälle wäre nach einer Erhebung der Techniker Krankenkasse ein chirurgischer Eingriff dabei gar nicht nötig. Dies gilt offensichtlich auch für die rund 164.000 Operationen, die in Deutschland jährlich bei akutem Bandscheibenvorfall durchgeführt werden. "Beschwerden, die auf der Grundlage eines Bandscheibenschadens auftreten, werden oft unnötigerweise operiert“, sagt Martin Buchholz, niedergelassener Orthopäde aus Hamburg.

Bei OP-Empfehlung unbedingt ärztliche Zweitmeinung einholen

Die Gründe für die ausufernde Zahl von Rückenoperationen sind vielfältig. Ein Grund liegt Experten zufolge in der Ungeduld vieler Rückenpatienten und der Suche nach der schnellen Lösung. Viele von ihnen wollen oder müssen rasch wieder arbeitsfähig sein und entscheiden sich deshalb für die Operation. Als weiterer Grund gelten falsch interpretierte Röntgen- oder MRT-Bilder. Gerade für Wirbelsäulenprobleme gilt: Schäden, die das Untersuchungsbild aufdeckt, müssen nicht unbedingt auch Ursache der akuten Beschwerden sein. Und Punkt drei: Operationen bescheren Ärzten oder Kliniken mehr Geld als die sogenannten konservativen (= nicht-operativen) Verfahren. Untersuchungen der Krankenkassen zeigen, dass eine ärztliche Zweitmeinung im Falle einer OP-Empfehlung sinnvoll ist – vor allem, wenn der Arzt, der zur Operation rät, derselbe ist, der sie auch durchführen will. Bis zu 90 Prozent der diagnostizierten Rückenoperationen werden in Folge der Beurteilung durch einen zweiten Arzt nicht durchgeführt.

Akute Bandscheibenvorfälle machen nach Informationen der „Aktion Gesunder Rücken“ weniger als fünf Prozent der Diagnosen im orthopädischen Praxisalltag aus. Starke Rückenschmerzen fühlen sich aufgrund ihrer Intensität oft an wie ein Bandscheibenvorfall – häufig sind sie aber eine Folgen von Verschleißerscheinungen nach Fehl- oder Überbelastung. "Und selbst wenn tatsächlich eine Bandscheibe verantwortlich für die Schmerzen sein sollte, lassen sich die Beschwerden meist gut ohne OP behandeln", sagt Orthopäde Buchholz.

Heilen ohne OP: Mit Schmerzmitteln, Physiotherapie – und Zeit

Standardverfahren ist in diesem Fall eine mindestens sechswöchige Therapie - meist ein Mix aus Schmerzmedikation, lokaler Infiltrationsbehandlung (Spritzen), leichter Bewegung und Physiotherapie. Als eine alternative konservative Behandlungsmethode gilt die sogenannte PRT (Periradikuläre Therapie). "Bei dieser Methode wird ein Schmerzmedikament, meist ein Lokalanästhetikum in Kombination mit einem Cortisonpräparat direkt an die betroffene Nervenwurzel gespritzt", erklärt Mediziner Buchholz. 90 Prozent aller Rückenprobleme gleicht der menschliche Körper nach Expertenmeinung innerhalb von zwei bis drei Monaten selbstständig aus.

OP: Nur bei Nervenschädigungen und Lähmungserscheinungen

Wenn nach rund sechs Wochen keine spürbaren Behandlungserfolge eintreten, rät die Aktion Rückengesundheit zu einer bildgebenden Diagnostik. Eine Operation ist dabei nicht das erste, sondern das letzte Mittel der Wahl, denn für einen operativen Eingriff existieren nur wenige absolute Kriterien. Diese sind: Wenn Nerven durch einen Bandscheibenvorfall stark gequetscht werden; wenn der Betroffene unter Lähmungen und Taubheitsgefühlen leidet; oder wenn es zu Funktionsstörungen von Darm und Blase kommt.

Was jeder vorbeugend gegen den Bandscheibenvorfall tun kann

Als Hauptursache für Bandscheibenvorfälle gilt eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche. Durch einen konsequenten Muskelaufbau im Bereich des Rückens durch Gymnastik und Sport lässt sich ein Bandscheibenvorfall zwar nicht völlig ausschließen – doch lässt sich die Wahrscheinlichkeit dafür verringern. Da die Bandscheibe nicht von Blutgefäßen versorgt wird, ist für sie jede körperliche Bewegung gut, die zu einer „wechselnden Druckbelastung“ führt – dies dient dem Austausch von Nährflüssigkeit. Die wichtigsten Präventionstipps:

  • das Heben schwerer Lasten möglichst vermeiden
  • Techniken erlernen, wie schwere Lasten rückengerecht gehoben werden können (vor allem bei risikobehafteten Berufen wie Krankenpflege)
  • „Orthopädische Sportarten“ treiben: Schwimmen, Tanzen, Laufen (Joggen, Nordic Walking), Reiten, Fahrradfahren
  • für eine gute Ergonomie am Arbeitsplatz sorgen (insbesondere bei Büroarbeit am PC)
  • lange, statische Sitzpositionen vermeiden.

Foto: fotolia.com/peterschreiber.media

Hauptkategorie: Medizin
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