Avastin bei Frühgeborenen-Retinopathie?
Die Schlagzeilen um das Krebsmittel Avastin haben auch Eltern verunsichert, deren Kinder an einer Frühgeborenen-Retinopathie leiden. Die Netzhauterkrankung verursacht schwerste Schäden am Auge - bis hin zur völligen Erblindung und wird seit einigen Jahren in Deutschland entweder mit Lasertherapie oder mit Bevacizumab, bekannt als Avastin, behandelt. Der Antikörper Avastin ist allerdings weder zur Behandlung des Auges, noch für Kinder zugelassen. Auch gibt es zum Einsatz des Mittels bei der Frühgeborenen-Retinopathie bislang kaum Studien und wenig Erkenntnisse über langfristige Nebenwirkungen.
Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), die Retinologische Gesellschaft und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) haben jetzt eine Stellungnahme abgegeben, wann eine Behandlung mit Avastin sinnvoll ist. Demnach hängt die Wahl der Therapie sowohl vom Stadium der Retinopathie ab als auch von der betroffenen Zone im Auge.
Frühgeborenen-Retinopathie: Den Kindern droht eine Ablösung der Netzhaut
Eine Frühgeborenen-Retinopathie droht vor allem Kindern, die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden oder bei der Geburt unter 1500 Gramm wiegen. "In diesem Stadium ist die Entwicklung der Netzhaut noch nicht abgeschlossen", erläutert DOG-Generalsekretär Professor Dr. med. Anselm Kampik aus München. Eine veränderte Konzentration von Sauerstoff in der Atemluft kann während dieser Phase das Wachstum der Blutgefässe im Auge anregen. Die Adern beginnen dann mitunter, unkontrolliert zu wuchern. Tritt aus den Gefässen Flüssigkeit aus, droht den Kindern eine Ablösung der Netzhaut.
Um dies zu verhindern, können Augenärzte die Netzhaut mit Laser behandeln. Seit einigen Jahren nutzen sie für die Therapie aber auch den Wirkstoff Bevacizumab. Dieses Antikörperpräparat hemmt einen Wachstumsfaktor, der die Blutgefässe dazu anregt, zu wuchern. Das Medikament wird direkt ins Auge injiziert und soll die Neubildung von Blutgefässen verhindern. "Allerdings ist Avastin weder zur Behandlung des Auges, noch für Kinder zugelassen", sagt Professor Kampik, Direktor der Universitäts-Augenklinik. Da es zum Einsatz des Mittels bei der Frühgeborenen-Retinopathie bislang kaum Studien gibt, sind die langfristigen Nebenwirkungen dieser Therapie noch nicht abschliessend geklärt.
Der Antikörper Avastin hilft besser als Laser, wenn das Zentrum der Netzhaut betroffen ist
Das Verfahren scheint dennoch in einigen Fällen der Laserbehandlung überlegen zu sein, wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, die Retinologische Gesellschaft und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands in ihrer Stellungnahme betonen. In einem amerikanischen Vergleich beider Therapien half der Antikörper vor allem jenen Kindern deutlich besser, bei denen das Zentrum der Netzhaut betroffen war. Sind dagegen die Randzonen der Netzhaut gefährdet, scheinen beide Verfahren ähnlich wirksam zu sein. Angesichts der ungeklärten langfristigen Nebenwirkungen von Avastin raten die Experten dann eher zur Lasertherapie. Kaum Daten gibt es bislang für jenes Krankheitsstadium, in dem die Ablösung der Netzhaut schon eingesetzt hat. Bei diesen Kindern empfehlen die Fachverbände den Einsatz von Avastin nicht.
In jedem Fall, so betonen die Experten, sollte die Wahl des Verfahrens nur nach ausführlicher Aufklärung und nach Einwilligung der Eltern erfolgen. Zudem sollten Augenmediziner den betreuenden Neonatologen stets eng in die Behandlung einbinden. Die vollständige Stellungnahme finden Interessierte auf der Homepage der DOG unter dem Link www.dog.org/wp-content/uploads/2009/08/ROP-Stellungnahme-20-12-2011.pdf.
Avastin ist für die Behandlung von verschiedenen Krebserkrankungen wie Darmkrebs, Brustkrebs, Lungenkrebs oder Eierstockkrebs zugelassen. Zuletzt war das Krebsmittel in die Schlagzeilen geraten, weil dem Antikörper in den USA die Zulassung zur Brustkrebsbehandlung entzogen wurde, in Deutschland allerdings nicht. Avastin wird seit 2005 ausserdem bei feuchter Makuladegeneration - ebenso wie bei der Frühgeborenen-Retinopathie - im Off-Label-Use (ohne entsprechende Zulassung) eingesetzt.