Atropin-Augentropfen bremsen Kurzsichtigkeit bei Kindern
Bis zum Ende der Grundschulzeit entwickeln in Deutschland etwa 15 Prozent der Kinder eine Kurzsichtigkeit, bis zum Alter von 25 Jahren steigt die Rate auf etwa 45 Prozent. Da die Fehlsichtigkeit später schwere Augenerkrankungen begünstigt, sollte sie früh aufgehalten werden. Forscher haben jetzt einen Ansatz für eine niedrig dosierte Therapie mit Atropin-Augentropfen gefunden, die nebenwirkungsarm ist und das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern um bis zu 50 Prozent mindern kann. Das berichteten Experten auf dem 117. Kongress der DOG Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft.
Rate der Kurzsichtigen liegt bei 45 Prozent
"Kurzsichtigkeit ist neben dem Alter der Hauptrisikofaktor für ernste Augenerkrankungen wie Grüner und Grauer Star oder auch Netzhautablösung, von daher ist es sehr wünschenswert, das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit in der Phase ihres Entstehens zu verlangsamen", erklärt Prof. Claus Cursiefen, Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
"Zudem gilt: Je früher die Kurzsichtigkeit beginnt, desto stärker wird ihr Ausmaß im Erwachsenenalter sein – ein weiterer Grund für eine frühe Intervention", so Cursiefen.
Zwei Stunden täglich im Freien, Lesen mit genügend Abstand
Um Kurzsichtigkeit aufzuhalten, stehen verschiedene Ansätze bereit. "Täglich zwei Stunden Aufenhalt im Freien bei Tageslicht halbieren das Risiko für Kurzsichtigkeit", erläutert Prof. Wolf Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg.
"Längeres Lesen in einem Abstand von weniger als 30 Zentimetern sollte vermieden werden", fügt der Freiburger Augenarzt hinzu. Darüber hinaus gibt es spezielle Kontaktlinsen, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 40 Prozent mindern können.
Atropin-Augentropfen bremsen Kurzsichtigkeit bei Kindern
Am wirksamsten hat sich jedoch eine Therapie mit Atropin-Augentropfen erwiesen. Die bremsen die Kurzsichtigkeit bei Kindern. Dass Atropin, eine Substanz aus der Tollkirsche, Kurzsichtigkeit aufhalten kann, ist seit mehr als hundert Jahren bekannt. "Wegen ihrer Nebenwirkungen - Blendung und Nahsichtstörung - wurden Atropin-Tropfen zu diesem Zweck aber kaum verordnet", berichtet Lagrèze.
Das hat sich jetzt geändert. Denn Forscher aus Singapur haben eine Konzentration gefunden, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit um bis zu 50 Prozent mindert und gleichzeitig weitgehend nebenwirkungsfrei ist. "Leichte Blendungsempfindlichkeit und Nahsichtstörung bilden sich darüber hinaus bei Absetzen vollständig zurück, so dass kein Schaden entsteht", fügt der Freiburger Ophthalmologe hinzu.
Niedrig dosierte Atropin-Tropfen wirksam und verträglich
Dass Atropin-Tropfen in der geringen Konzentration von 0,01 Prozent gut wirken und dabei verträglich sind, belegen inzwischen große Studien aus Asien. "Seit der Veröffentlichung dieser Daten hat sich die Anwendung niedrig dosierter Atropin-Augentropfen weltweit sehr schnell durchgesetzt und wird auch in Deutschland von vielen Augenärzten in Kliniken und Praxen eingesetzt", betont Lagrèze.
So haben verschiedene Länder, darunter Deutschland, Leitlinien und Behandlungsempfehlungen formuliert. Inwieweit täglich zwei Stunden Aufenthalt im Freien die Erfolgsrate zusätzlich zu den Atropin-Augentropfen weiter erhöhen, ist noch nicht erforscht.
Vor dem Schlafengehen in jedes Auge einen Tropfen
Für die Atropin-Therapie kommen Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren in Frage, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt. "Die Eltern geben abends vor dem Zubettgehen jeweils einen Tropfen in jedes Auge", erklärt Lagrèze. Unwillkürliches Blinzeln sorgt für eine gute Verteilung des Wirkstoffs. "Wichtig ist eine Tropfen-Zubereitung ohne Konservierungsmittel", betont Lagrèze.
Zudem muss der Augenarzt die Eltern darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Behandlung um einen sogenannten Off-Label-Use handelt - um einen Gebrauch, für den es bei Kurzsichtigkeit noch keine offizielle Zulassung gibt. "Nach zwei Jahren Therapiedauer entscheidet der Augenarzt, ob die Behandlung fortgesetzt werden sollte", erläutert DOG-Experte Lagrèze.
Foto: AOK-Bundesverband