Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Aortendissektion viel häufiger Todesursache als angenommen

Dienstag, 11. Juli 2017 – Autor:
Ein Riss an der Aorta direkt am Herzen, die so genannte Aortendissektion, führt unbehandelt innerhalb von 48 Stunden zum Tod. Möglicherweise kommt das lebensbedrohliche Ereignis sogar häufiger vor als bislang gedacht. Das legen Autopsieberichten aus Berlin nahe, die das Deutschen Herzzentrum Berlin jetzt ausgewertet hat.
DHZB-Chef Volkmar Falk (re): Zahl der Notfalleingriffe wegen Aortendissektion in einem Jahr um 70 Prozent gesteigert. Die Patienten hätten sonst nicht überlebt

DHZB-Chef Volkmar Falk (re): Zahl der Notfalleingriffe wegen Aortendissektion in einem Jahr um 70 Prozent gesteigert. Die Patienten hätten sonst nicht überlebt

Wenn die innere Wandschicht der Hauptschlagader (Aorta) direkt am Herzen einreißt und sich ablöst, entsteht eine lebensgefährliche Situation für den Patienten. Wird die „akute Typ A-Aortendissektion“ nicht innerhalb von 48 Stunden behandelt, sterben die Patienten. Die größte Gefahr ist die Einblutung in den Herzbeutel, die rasch zum Herzstillstand führen kann. Aber auch wenn Blut zwischen Schlagader und Herz fließt, muss sofort gehandelt werden: Abzweigungen – etwa zum Gehirn – können verschlossen werden. Wie beim Schlaganfall kommt es auch bei der Aortendissektion auf jede Minute an.

Glücklicherweise handelt es sich dabei um ein eher seltenes Ereignis. Das statistische Bundesamt geht von jährlich 4,6 Fällen auf 100.000 Einwohner aus. Doch möglicherweise muss die Zahl nach oben korrigiert werden. Das legen jedenfalls Daten einer Studie nahe, die Wissenschaftler vom Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) jetzt im International Journal of Cardiology veröffentlicht haben. Die Hochrechnung der erhobenen Daten ergibt einen mehr als doppelt so hohen Wert von 11,9 Fällen 100.000 Einwohner. Das ist mehr als doppelt so viel wie bislang angenommen. „Anhand unserer Daten müssen wir von einer Dunkelziffer von über 200 Menschen ausgehen, die in Berlin und Brandenburg jedes Jahr verstorben sind, weil eine akute Aortendissektion zu spät erkannt oder falsch behandelt wurde“, sagt Kardioanästhesist und Notarzt Stephan Kurz vom DHZB.

Autopsieberichte legen wahre Todesursache offen

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler um Stephan Kurz und den DHZB-Direktor Prof. Volkmar Falk zum einen die Patientenakten und Notarztprotokolle von über 1.600 Patienten analysiert, die wegen einer akuten Typ A-Dissektion am DHZB behandelt wurden. Zum anderen wurden über 14.000 Autopsieberichte aus dem Institut für Rechtsmedizin der Charité und dem Fachbereich Pathologie des Vivantes-Netzwerks ausgewertet. Daraus konnten die Forscher ersehen, wie viele Patienten in Berlin und Brandenburg tatsächlich an einer Aortendissektion verstorben sind.

Die Herzspezialisten sprechen von „einem alarmierenden Fund und dringendem Handlungsbedarf.“ Demnach dauert die Zeit bis zur Therapie viel zu lang – im Schnitt acht Stunden - und es gibt etliche unerkannte Fälle. „Eine schnelle und sichere Diagnose der akuten Aortendissektion ist nicht leicht“, erläutert Notfallmediziner Stephan Kurz. Die Symptome - vor allem der heftige Brustschmerz - könne auch von erfahrenen Notärzten als Anzeichen des weitaus häufiger vorkommenden Herzinfarktes missdeutet werden.

Aortentelefon beschleunigt die Rettung

Um den Rettungsärzten im Zweifel schnell Auskunft geben zu können, steht am DHZB rund um die Uhr ein Facharzt für Anästhesie oder Herzchirurgie als Ansprechpartner zur Verfügung. Er leistet unter einer (Ärzten, Kliniken und Rettungsdiensten bekannten) Telefonnummer medizinischen wie organisatorischen Support für die Kollegen vor Ort und koordiniert auch die Vorbereitung des Eingriffs am Herzzentrum selbst. Der Eingriff kann nur an einem Spezialzentrumvorgenommen werden. In Berlin ist es dasDHZB. 

Das Herzzentrum hat das Konzept des „Aortentelefons“ 2015 auch selbst ausgearbeitet und eingeführt. Damit konnten die Ärzte bereits mehr Patienten in kürzerer Zeit auf den OP-Tisch bringen. So ist die Zahl der am DHZB wegen einer akuten Typ A-Dissektion operierten Patienten von durchschnittlich 80 in den Vorjahren auf 138 in 2016 gestiegen, also um mehr als 70 Prozent. Auch die Zeitspanne vom Eintreten der ersten Symptome bis zum Operationsbeginn konnte bereits um durchschnittlich 20 Prozent gesenkt werden. „Viele dieser Patienten hätten ohne die zügige und effiziente Verlegung ins DHZB nicht überlebt“, sagt Klinikdirektor Prof. Dr. Volkmar Falk: „Der beste Ansporn für uns, das Projekt auszubauen und weiter voranzutreiben“.

Männer sind häufiger betroffen

Warum es bei manchen Menschen zu einer Schwächung der Aorta-Innenwände bis zum Einriss kommt, ist bisher nicht vollständig geklärt. Männer erkranken dabei bis zu dreimal so häufig wie Frauen. Das Alter der Betroffenen liegt um die 60 Jahre. Aus unbekannten Gründen treten Aortendissektionen bevorzugt in den Wintermonaten auf. Ebenfalls unklar ist, warum sich die meisten Dissektionen am Vormittag zwischen 6:00 Uhr und 12:00 Uhr ereignen.

Hauptkategorie: Medizin
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Herz

Weitere Nachrichten zum Thema Herzzentrum Berlin

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Prof. Dr. Volkmar Falk über die Neuausrichtung des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB), die große Nachfrage nach minimal-invasiven Herzoperationen und die Aufarbeitung des Berliner Transplantationsskandals.
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin