Anträge auf Pflegestufe oft abgelehnt
Wer jahrelang in die Pflegeversicherung eingezahlt hat, hat noch lange keinen Anspruch auf Pflegeleistungen. Dies bekommen im Jahr Hundertaussende Menschen in Deutschland zu spüren, die eine Pflegestufe beantragt haben, sie aber nicht bewilligt bekommen. Leistungen der Pflegeversicherung erhält nämlich nur, wer nach dem Gesetz auch pflegebedürftig ist. Die Schwere der Erkrankung oder der Grad der Behinderung ist dabei unerheblich. Entscheidend ist der Fremdhilfebdarf. Ob eine Pflegebedürftigkeit vorliegt, entscheiden Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) – nach festgelegten Kriterien. Aber oft nicht im Sinne der Antragssteller.
So hat der MDK nach eigenen Angaben allein im Jahr 2011 über 435.000 Menschen als nicht pflegebedürftig eingestuft und keine Pflegestufe bewilligt. Bei Anträgen auf ambulante Pflege war dies in 34,6 Prozent der insgesamt 1,1 Millionen Begutachtungen der Fall, bei den rund 350.000 Anträgen auf stationäre Pflege betrug die Ablehnungsrate 16,3 Prozent.
Eine Höherstufung in die nächste Pflegestufe scheitert in über 50 Prozent der Fälle
„Hinzu kommt noch eine hohe Dunkelziffer derjenigen, die in der falschen Pflegestufe sind und eigentlich Anspruch auf höhere Leistungen haben“, sagt Angela Kowalski, Geschäftsführerin der Pflegestufenberatung Vitasolutio. Wer die Kraft hat, stellt einen Antrag auf eine höhere Pflegestufe, doch dieses Ansinnen scheitert in über 50 Prozent der Fälle: So hat der MDK nach eigenen Angaben im Jahre 2010 bei 54 Prozent der ambulant Pflegebedürftigen der Stufe I eine Höherstufung abgelehnt. Bei den ambulant Pflegebedürftigen der Stufe II lag die Ablehnungsrate sogar bei 65 Prozent.
„Nicht selten geben die Pflegebedürftigen an dieser Stelle auf, weil sie den Weg des Widerspruchs und das Klageverfahren scheuen oder auch gar nicht mehr alleine bewältigen können“, sagt Kowalski. Wer noch kann, macht hingegen von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch. Allein in 2011 sind die MDK-Gutachter rund 99.000 Mal zu Widerspruchsbegutachtungen ausgerückt.
Viele Pflegebedürftige empfinden die Entscheidungen der MDK-Gutachter als ungerecht. Angela Kowalski rät allen Pflegebedürftigen, sich gut zu informieren. So sollte jeder, der einen Antrag auf eine Pflegstufe stellt, wissen, dass sich der Gutachter bei seiner Entscheidung nach dem rechnerischen Zeitaufwand der Durchführung der Grundpflege durch die Pflegeperson richtet. Durch den Gutachter werden dann für die Verrichtungen der Körperpflege, Mobilität und Ernährung Durchschnittswerte im Rahmen der Zeitkorridore ermittelt.
Fünf Minuten fürs Rasieren
„Ganzkörperwäsche, Toilettengang, Kämmen und andere Fremdhilfe werden dann mit wenigen Minuten berechnet. Rasieren fünf bis zehn Minuten, jedoch nur bei Vollübernahme durch die Pflegeperson“, kritisiert Kowalski. Die Kalkulationen sind so knapp, dass viele die erforderlichen Minuten an Fremdhilfebedarf nicht erreichen oder besser: nicht belegen können. So muss etwa ein Pflegebedürftiger der Stufe 1 mehr als 45 Minuten täglicher Hilfebedarf in der Grundpflege nachweisen und ein Pflegebedürftiger der Stufe II mindestens zwei Stunden täglich auf Fremdhilfe in der Grundpflege angewiesen sein.
Grundsätzlich müsse jeder Pflegebedürftige bei der Begutachtung glaubhaft und plausibel darlegen, warum er auf Fremdhilfe bei den täglichen Verrichtungen und der Bewältigung seines Alltags angewiesen ist, meint Kowalski. Dann seien die Chancen am größten, die angemessene Pflegestufe zu erhalten.
Foto: Techniker Krankenkasse
Pflegestufen I bis III
Pflegestufe I „erheblich pflegebedürftig“ (mehr als 45 Minuten täglicher Hilfebedarf in der Grundpflege)
Pflegestufe II „schwer pflegebedürftig“ (mindestens 2 Stunden täglicher Hilfebedarf in der Grundpflege)
Pflegestufe III „schwerst pflegebedürftig“ (mindestens 4 Stunden täglicher Hilfebedarf in der Grundpflege)