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Antikörpertherapie erleichtert Allergikern das Leben

Samstag, 28. November 2020 – Autor:
Jedes dritte Kind in Deutschland leidet inzwischen an einer Allergie, sagen Studien. Gleichzeitig gibt es große Fortschritte bei den Behandlungsmöglichkeiten, vor allem durch neue Antikörper. Auf dem Deutsche Allergiekongress wurden die Grenzen und Möglichkeiten der Allergologie beleuchtet.
Allergien lassen sich heute besser behandeln als früher.

Allergien lassen sich heute besser behandeln als früher. – Foto: ©Alexander Raths - stock.adobe.com

Herr Prof. Brehler, Sie waren Präsident des diesjährigen Deutschen Allergiekongresses. Gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten in der Allergologie? Und wie kann man Allergikern künftig gezielter helfen?

Brehler: Neueste Entwicklungen auf dem Gebiet sind Biologika, also biotechnologisch hergestellte Medikamente. In unserem Fachgebiet gibt es solche Antikörpertherapien schon länger für Asthmatiker. Patienten mit verschiedenen Formen des schweren Asthmas können Leistungsfähigkeit und Lebensqualität gewinnen, tatsächlich können neue Therapien auch Leben retten. Im Weiteren haben wir neue Medikamente für die Urtikaria, das Nesselfieber. Hier standen bislang nur Antihistaminika zur Verfügung, die häufig aber nicht ausreichen – jetzt gibt es eine Antikörpertherapie, durch die viele Patienten beschwerdefrei werden. Und ganz neu: Wir haben zwei Medikamente, die jetzt für die Chronische Nasennebenhöhlenentzündung (chronische Rhinosinusitis) mit Nasenpolypen regulär zugelassen wurden. Hier kann die Antikörpertherapie heute Operationen ersparen. Auch für die Neurodermitis (atopische Dermatitis) gibt es eine zugelassene Antikörpertherapie für schwer betroffene Patienten, die den Patienten das Leben deutlich erleichtert. Daneben gibt es Fortschritte bei der klassischen Immuntherapie.

Der Deutsche Allergiekongress im September stand unter dem Titel „Allergologie zwischen Grenzen und Möglichkeiten“.

Brehler: Möglichkeiten ergeben sich durch die neuen Behandlungsformen allergischer Erkrankungen, Grenzen sind durch viele offene Fragen aber auch finanzielle Gegebenheiten gesetzt. Mit Veränderungen in der Umwelt, Veränderungen in der Lebensweise aber auch neuen Medikamenten, die für die Behandlung verschiedenster Erkrankungen zur Verfügung stehen, verändern sich die Herausforderungen in unserem Fach. Wir erleben einen Wandel, kennen heute neue Allergene, sehen Reaktionen auf neue Medikamente, haben neue diagnostische Möglichkeiten und ein zunehmendes Wissen über die Ursachen allergischer Erkrankungen, was in entsprechende neue Therapien mündet. Das macht unser interdisziplinäres Fach aktuell wirklich spannend.

Ein Beispiel?

Brehler: Als ein Beispiel möchte ich nennen, dass wir heute Patienten mit erblich bedingten teils lebensbedrohlichen Angioödemen (Schwellungen der Haut und Schleimhäute auch im Rachenbereich), dem sogenannten hereditären Angioödemen, mit neuen Medikamenten relativ einfach vorbeugend behandeln können. Auch neue Medikamente können Nebenwirkungen haben und viele der neuen Medikamente sind ausgesprochen teuer. Es muss definiert werden, bei welchen Patienten die Anwendung solcher Medikamente sinnvoll ist.

Wird jeder Allergiker immer gleich behandelt oder muss man je nach Schwere der Erkrankung unterscheiden?

Brehler: Wir haben heute in der Allergologie grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten: So haben wir für leichter betroffene Patienten mit inhalativen Allergien (allergischem Schnupfen/Asthma) die klassische Immuntherapie. Die hat den Vorteil, dass der Effekt anhalten sein kann, also auch nach Ende der Behandlung noch wirkt. Auf der anderen Seite haben wir aber schwer betroffene Patienten, für die eine Immuntherapie ein Risiko darstellen kann. Für diese Patienten haben wir, wenn sie von schwerem Asthma betroffen sind, ganz regulär Biologika. In der nahen Zukunft erwarten wir beispielsweise auch eine Behandlungsmöglichkeit mittels oraler Immuntherapie für Kinder mit Erdnussallergie. Solche Kinder müssen nicht nur Erdnüsse komplett meiden, sie sind auch durch Lebensmittel, die Erdnuss in Spuren enthalten können, hochgradig gefährdet und müssen daher immer Notfallmedikamente dabeihaben. Die neue Behandlung wird das Leben schwer betroffener Kinder vermutlich leichter machen können.

Gibt es in absehbarer Zukunft eine Therapie, die präventiv Allergien verhindern kann?

Brehler: In diese Richtung muss dringend weiter geforscht werden. In den USA sind heute in manchen Regionen die Hälfte aller Kinder Allergiker. Das heißt: Allergien drohen zum Normalzustand zu werden. Dagegen müssen Strategien entwickelt werden, um Patienten Krankheit zu ersparen und um enorme Kosten, die durch die Behandlung dieser Erkrankungen entstehen, von unserem Gesundheitssystem abzuwenden. Wünschenswert ist auch, in einem ganz frühen Stadium der Allergieentwicklung einzugreifen zu können, um zu erreichen, dass die Weiterentwicklung des Immunsystems in Richtung Allergie gestoppt wird und in Richtung Toleranzentwicklung umschwenkt. Bei Geburt ist das Immunsystem eines Kindes naiv. Aus dieser Naivität entwickelt sich dann entweder Toleranz oder Allergie gegen normale Umweltstoffe wie Hausstaubmilben, Pollen oder Lebensmittel. Wir müssen herausfinden, wann und unter welchen Umständen das Immunsystem mit Allergieentwick-lung reagiert. Früher haben wir geglaubt, man müsse Allergenen strikt aus dem Weg gehen – heute wissen wir, dass dieser Weg falsch ist. Das Immunsystem muss sich mit Allergenen auseinandersetzen, um Toleranz zu entwickeln.

Prof Randolf Brehler ist leitender Allergologe an der Klinik für Hautkrankheiten am Universitätsklinikum Münster (UKM). Er war Kongresspräsident des diesjährigen Deutschen Allergiekongresses vom 24. bis 26. September in Wiesbaden. Das Interview wurde von der Pressestell des UKM aufgezeichnet.

Foto: © Adobe Stock/Alexander Raths

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