Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Antidepressiva-Tests bislang ohne wissenschaftliche Evidenz

Montag, 14. August 2017 – Autor:
Genetische Tests versprechen Patienten, das richtige Antidepressivum zu finden und damit einen schnelleren und besseren Behandlungserfolg. Doch bislang sind die Aussagen zu den Antidepressiva-Tests nicht von wissenschaftlichen Studien gedeckt.
Die Auswahl an Antidepressiva ist riesig. Ob Schnelltests bei der Auswahl helfen, steht noch nicht fest

Die Auswahl an Antidepressiva ist riesig. Ob Schnelltests bei der Auswahl helfen, steht noch nicht fest – Foto: ©fotomek - stock.adobe.com

Das richtige Antidepressivum zu finden, kann eine Odyssee sein. Bis die Medikamente wirken, können Wochen vergehen. Ärzte sprechen von „Wirklatenz.“ Stellt sich dann trotz des Wartens keine Wirkung ein, muss ein anderes, besseres Medikament gefunden werden - und die Prozedur geht von vorne los. Um diesen zermürbenden Prozess abzukürzen, hat sich die Industrie etwas einfallen lassen: die Untersuchung pharmakokinetisch relevanter Gene mittels Schnelltests. Ein derartiger Test ist etwa von der Firma Stada auf dem Markt, der Varianten der Zytochrom-P450-Isoenzyme CYP2D6 und CYP2C19 untersucht. Ein anderer Test der HMNC Brain Health GmbH untersucht Varianten des ABCB1-Gens. 

Keine oder widersprüchliche Studienergebnisse

„Gerade bei depressiven Erkrankungen bleibt dem Arzt manchmal nichts anderes übrig, als verschiedene Wirkstoffe in unterschiedlichen Dosierungen auszutesten, bis eine effektive Therapie gefunden wird… Verkürzen Sie diesen aufwendigen Prozess mit Hilfe des Antidepressiva Tests!“, heißt es zum Beispiel bei Stada. Knapp 400 Euro verlangt der Pharmakonzern dafür. Kranke müssen den Test aus der eigenen Tasche bezahlen, denn Krankenkassen bezahlen ihn nicht. Bislang fehlt nämlich der wissenschaftliche Beweis, dass Antidepressiva-Tests tatsächlich zu einem besseren Ansprechen auf die Behandlung führen.

Das bestätigt auch eine Publikation der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) im Fachmagazin „Nervenarzt“. In ihrem Beitrag „Genetische Tests zur Steuerung der Behandlung mit Antidepressiva“ beziehen sich die Autoren auf Aussagen der Anbieter Stada und HMNC, wonach auf erfolglose Antidepressivabehandlungen verzichtet werden könne und dass es zu einem schnelleren Ansprechen auf die Behandlung komme. „Diese Aussagen sind durch geeignete klinische Studien nicht gedeckt, da solche Studien fehlen bzw. widersprüchliche Ergebnisse liefern. Es wird daher vom routinemäßigen Einsatz dieser Tests abgeraten“, so das Autorenteam um die Professoren Bschorr, Baethge, Hiemke und Müller-Oerlinghausen.

Serumspiegel bestimmen lassen

Was die Psychiater hingegen bei Nichtansprechen auf ein Antidepressivum empfehlen, ist eine Serumspiegelbestimmung. Diese Empfehlung deckt sich mit der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ und wird in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Nur wenn der Serumspiegel deutlich vom erwarteten Wert abweiche und andere Einflussfaktoren ausgeschlossen werden könnten, sei eine Zytochrom-P450-Genotypisierung sinnvoll, heißt es weiter. In Einzelfällen könne die Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden.

Andererseits muss man wissen, dass bei vielen medizinischen Innovationen die wissenschaftliche Evidenz hinterherhinkt. Die weitere Beforschung der Bedeutung von Antidepressiva-Tests ist daher sinnvoll. Gerade erst hat die Techniker Krankenkasse (TK) Zahlen veröffentlicht, wonach sich die Zahl der Antidepressiva-Verordnungen in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat.

Foto: pixabay Freie kommerzielle Nutzung

Hauptkategorien: Medizin , Gesundheitspolitik
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Depression , Antidepressiva

Weitere Nachrichten zum Thema Antidepressiva

08.06.2018

Patienten mit Depressionen haben zurzeit die Wahl zwischen einer Vielzahl verschiedener Antidepressiva, die unterschiedlich wirken und unterschiedliche Nebenwirkungsprofile haben. Eine amerikanische Studie hat nun gezeigt, dass ein EEG bereits im Vorfeld der Therapie Hinweise liefern kann, welches Medikament für einen Patienten am besten geeignet ist.

Aktuelle Nachrichten

Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Kliniken
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin