Anstieg von Stresshormonen: Darum sind Arbeitsunterbrechungen so ungesund

Studie: Der Körper schüttet verstärkt Stresshormone aus, wenn die Arbeit immer wieder unterbrochen wird – Foto: ©WavebreakmediaMicro - stock.adobe.com
Ungestört eine Arbeit erledigen – in vielen Berufen geht das kaum. Das Telefon klingelt, wichtige E-Mails trudeln ein, der Chef funkt immer wieder mit neuen Anliegen dazwischen. Dass solche Arbeitsunterbrechungen ein Stressfaktor sind, liegt auf der Hand. Wissenschaftler der ETH Zürich haben nun zeigen können, dass der Stress auch körperlich messbar ist.
In einer Studie mit 90 Teilnehmern wies das Team um die Psychologin Jasmine Kerr und die Mathematikerin Mara Nägelin nach, dass der Spiegel des Stresshormons Kortisol um das doppelte Anstieg, wenn die Teilnehmer laufend während ihrer Arbeit unterbrochen wurden – im Vergleich zu jenen, die in Ruhe ihre Arbeit erledigen konnten.
Psychobiologische Reaktionen gemessen
In einem zweistündigen Experiment mussten die Teilnehmer als Angestellte einer imaginären Versicherung typische Büroarbeiten verrichteten, also etwa handschriftlich ausgefüllte Formulare abtippen oder Termine von Versicherungsberatenden mit ihren Kunden vereinbaren. Um die psychobiologischen Reaktionen zu messen, gaben die Probanden an insgesamt sechs Zeitpunkten auf Fragebögen an, wie gut oder schlecht gelaunt sie gerade waren. Währenddessen wurde durchgehend ihr Herzschlag mit einem mobilen EKG-Gerät gemessen und die Forscher bestimmten im Speichel die Konzentration des Stresshormons Kortisol.
Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen eingeteilt - zwei Stress- und eine Kontrollgruppe. Alle mussten zwar die gleiche Arbeit erledigen und in der Mitte des Versuchs bekamen auch alle Teilnehmenden Besuch: Zwei Schauspieler traten als Mitarbeitende der Personalabteilung der Versicherung auf. Während sie die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe einen Verkaufsdialog vorlesen ließen, gaben die Schauspieler in den beiden Stressgruppen vor, unter den Teilnehmenden die geeignetsten Kandidaten für eine Beförderung zu suchen.
Herzschlag schnellt in die Höhe
Die beiden Stressgruppen unterschieden sich dadurch, dass die Teilnehmenden in der ersten Stressgruppe ihre Arbeiten nur jeweils für die Speichelentnahmen auf die Seite legten. Aber die Teilnehmenden der zweiten Stressgruppe mussten zusätzliche Arbeitsunterbrechungen in Kauf nehmen, wenn sie Chatnachrichten ihrer Vorgesetzten erhielten, in denen diese dringenden Auskünfte verlangten.
Die Auswertung der Daten zeigte, dass auch eine Konkurrenzsituation um eine frei erfundene Beförderung ausreicht, um den Herzschlag in die Höhe zu treiben und das Stresshormon Kortisol freizusetzen. „Die Teilnehmenden der zweiten Stressgruppe schütteten aber fast doppelt so viel Kortisol aus wie diejenigen der ersten Gruppe“, sagt Mara Nägelin. Und Raphael Weibel ergänzt: „Bisher wurden Arbeitsunterbrechungen meist nur hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Arbeitsleistung und Produktivität erforscht. Mit unserer Studie zeigen wir erstmals, dass sie sich auch auf die Menge des freigesetzten Kortisols – und also tatsächlich auch auf die biologische Stressreaktion – auswirken“.
Stress wird unterschiedlich wahrgenommen
Allerdings schienen die körperlichen Stressreaktionen nicht mit dem gefühlten Stress zu korrelieren. So schätzten sich die Teilnehmenden der zweiten Stressgruppe mit Chat-Unterbrechungen als ruhiger und besser gelaunt ein als die Teilnehmenden der ersten Stressgruppe ohne Chat-Unterbrechungen. „Interessanterweise bewerteten sie die Situation zwar als gleich herausfordernd, aber weniger bedrohlich als die erste Stressgruppe“, sagt Jasmine Kerr. „Wir vermuten, dass die zusätzlichen Arbeitsunterbrechungen über die Kortisolfreisetzung mehr körperliche Ressourcen mobilisierten und dass dadurch die emotionale und kognitive Stressbewältigung unterstützt wurde.“ Zudem sei es möglich, dass die Arbeitsunterbrechungen die Teilnehmenden von der bevorstehenden sozialen Stresssituation ablenkten, wodurch sie weniger Bedrohung und folglich weniger Stress empfanden. Dennoch seien diese Ergebnisse überraschend gewesen, so die Psychologin.
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