Amnesty: Genitaloperationen an intersexuellen Kindern verstoßen gegen Menschenrechte
Als intersexuell werden Menschen bezeichnet, die aufgrund ihrer Chromosomen und / oder ihrer inneren und äußeren Geschlechtsorgane nicht eindeutig einem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. In Deutschland sind schätzungsweise 80.000 Menschen betroffen. Viele davon werden auch heute immer noch im Kindealter operiert. Doch dabei handelt es sich um eine Menschenrechtsverletzung, kritisiert jetzt Amnesty International. Einem aktuellen Bericht der Organisation zufolge sind die unumkehrbaren Eingriffe häufig mit langfristigen Schäden für Körper und Seele der Betroffenen verbunden.
Operationen können körperlich und seelisch negative Folgen haben
Für den Bericht hat Amnesty Interviews mit Betroffenen, ihren Familienmitgliedern, Medizinern und anderen Experten durchgeführt. Dabei wurde häufig von wiederkehrenden Schmerzen und psychischen Belastungen berichtet. Nicht selten haben Operationen auch eine eingeschränkte Empfindungsfähigkeit zur Folge. „Werden diese Behandlungen ohne akute medizinische Notwendigkeit vorgenommen, verstoßen sie gegen internationale Menschenrechtsstandards wie die Rechte auf Gesundheit und auf Selbstbestimmung“, erklärt Maja Liebing, Expertin für die Rechte von intergeschlechtlichen Menschen bei Amnesty International in Deutschland.
Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte bereits 2015 eine Stellungnahme zur „Disorders of Sex Development“ (DSD) veröffentlicht. Die BÄK forderte damals, dem Recht auf Selbstbestimmung und dem „Recht auf eine offene Zukunft“ der Kinder mehr Platz einzuräumen. „Wir brauchen in unserer Gesellschaft mehr Verständnis für Menschen mit seltenen Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung“, hatte BÄK-Vorstandsmitglied Heidrun Gitter bei der Veröffentlichung der Stellungnahme erklärt.
Auch der Deutsche Ethikrat hatte 2012 festgestellt, dass irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellen. Um es für Betroffene leichter zu machen, eine Entscheidung für ein bestimmtes Geschlecht zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens zu treffen, wurde im November 2013 auch das Personenstandsgesetz geändert: Seitdem kann der Geschlechtseintrag im Geburtsregister bei Neugeborenen mit uneindeutigem Geschlecht offenbleiben.
Kinder über ihre Situation aufklären
Experten empfehlen, die betroffenen Kinder möglichst früh, aber altersgerecht über ihre Situation aufzuklären. Das Problem ist jedoch, dass selbst die Eltern intergeschlechtlicher Kinder meist nur geringe Informationen bekommen. „In der Praxis empfehlen Ärztinnen den Eltern häufig Genitaloperationen, um die Kinder zu 'normalisieren'. Dabei werden die Eltern nur unzureichend über Methoden und Folgen der Operation informiert oder psychologisch unterstützt“, so Amnesty-Expertin Liebing. „Jede Behandlung sollte, wenn möglich, aufgeschoben werden, bis das Kind die Reife besitzt, um über seinen Körper mitzuentscheiden“, erklärt sie weiter.
Nach Ansicht von Amnesty International existieren schon gute Leitlinien zum Umgang mit Intersexualität. Doch sie müssten auch verbindlich gemacht werden, fordert die Organisation. Nur so könne sichergestellt werden, dass mit Ausnahme von Notfällen keine Eingriffe durchgeführt werden.
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