Alemtuzumab: Welche Rolle spielt der Antikörper noch in der MS-Therapie?

EMA schränkt Indikationsgebiet ein: Die MS-Therapie Alemtuzumab darf unter bestimmten Voraussetzungen fortgeführt werden.
Wirksame Therapien haben fast immer Nebenwirkungen. Im Fall des MS-Medikaments Alemtuzumab (Lemtrada®) waren die Nebenwirkungen besonders krass. Es gab es sogar Todesfälle. Bei einigen Patienten waren etwa drei Tage nach der Infusion schwerwiegende Herz- und Lungengefäßschäden einschließlich Lungenblutungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Zervikalarteriendissektionen aufgetreten. Weiter kam es zu neuen immunvermittelten Beschwerden wie Autoimmunhepatitis, Hämophagozytische Lymphohistiozytose sowie schwere Neutropenien.
EMA-Verfahren abgeschlossen
Im April dieses Jahres hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) deswegen ein Sicherheitsprüfverfahren eingeleitet. Das Verfahren ist nun beendet und erlaubt Alemtuzumab weiterhin bei bestimmten Indikationen. Der monoklonale Antikörper ist seit 2013 für die Behandlung der aktiven schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose zugelassen. Zulassungsrelevante Studien zeigten, dass es bei vielen Patienten unter Alemtuzumab zu einer permanenten Erkrankungsremission kommt, das heißt die MS kommt zum Stillstand.
Ab sofort darf das Präparat nur noch Patienten verabreicht werden, die unter mindestens einem anderen MS-Therapeutikum weiterhin Krankheitsaktivität zeigen sowie Patienten mit rasch fortschreitender schubförmiger MS. Letzteres wird definiert durch zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr und mit einer oder mehr Gadolinium-anreichernden Läsionen in der MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einem kürzlich durchgeführten MRT.
Bei allen anderen MS-Patienten darf Alemtuzumab nicht mehr angewendet werden. Dazu zählen auch Patienten mit bestimmten Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen oder bei Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen als der multiplen Sklerose.
MS-Experten beziehen Stellung
Ist es leichtsinnig oder medizinisch sinnvoll die Indikationen lediglich einzuschränken? Nach Ansicht des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) hat die EMA richtig entschieden. „Diese Empfehlung finden wir richtig und wichtig“, sagt KKNMS-Vorstand Prof. Heinz Wiendl vom Uniklinikum Münster. Denn es sei zu beachten, dass die Nebenwirkungen insgesamt selten aufgetreten seien. „Unseres Wissens handelt es sich um etwa 45 Fälle von weltweit bislang 22.000 Behandelten“, so Wiendl weiter.
Der Neurologe rät, die Behandlung aber nur in einem Krankenhaus mit Spezialisten und der Möglichkeit einer intensivmedizinischen Behandlung durchzuführen, damit Nebenwirkungen umgehend behandelt werden könnten.
Nach Auskunft der MS-Spezialisten treten infusionsassoziierte Nebenwirkungen bereits Stunden bis Tage nach der Infusion auf, die sogenannte sekundäre Autoimmunität kann bis zu vier Jahre nach der letzten Infusion auftreten. Das Risiko für das Auftreten sekundärer Autoimmunität besteht aber bereits nach dem ersten Zyklus und hängt mit diesem wesentlich zusammen. Allerdings bringt jede Infusion das Risiko infusionsassoziierter Reaktionen mit sich. In diese Kategorie zählen die seltenen Dissektionen von Blutgefäßen.
Individuelle Nutzen-Risiko-Analyse erforderlich
Inwieweit eine Therapie mit Alemtuzumab begonnen oder fortgesetzt werden sollte, müsse durch eine umfassende Nutzen-Risiko-Analyse entschieden werden. „Insbesondere muss dabei das Risiko für Herz-, Kreislauf- oder Blutungsstörungen abgeklärt werden und Therapiealternativen vergleichend in Betracht gezogen werden“, sagt Prof. Bernhard Hemmer, stellvertretender Vorsitzender des KKNMS vom Klinikum rechts der Isar der TU München. „Mehr denn je muss dabei im Blick behalten werden, dass Alemtuzumab eine irreversible Therapieentscheidung mit regelmäßigen Nachkontrollen von mindestens vier Jahren nach Abschluss der Behandlung bedeutet.“
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