Fluorchinolone sind hochwirksame Antibiotika, die eigentlich nur bei schweren bakteriellen Infektionen verordnet werden sollen. Seit Februar durchlaufen diese Reserveantibiotika mit der Endung "floxacin" eine neue Risikobewertung durch die Europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMA). Der Grund: Fluorchinolone können schwere Nebenwirkungen an Sehnen, Muskeln, Gelenken und im Nervensystem auslösen, wozu auch psychischen Störungen, Depressionen und Angstzustände gehören.
Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hatte 2016 bereits vor Fluorochinolon-Antibiotika gewarnt und Ärzte aufgefordert, Mittel wie Moxifloxacin, Ciprofloxacin, Levofloxacin und Ofloxacin bei „harmlosen“ Infekten nur noch dann zu verschreiben, wenn keine Alternative zur Verfügung steht. Im Februar hat schließlich auch die EMA auf die vielen gemeldeten Nebenwirkungen reagiert und Fluorchinolone unter Beobachtung genommen.
Jede sechste Antibiotikaverordnung aus der Gruppe der Fluorchinolone
Vor diesem Hintergrund hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) Zahlen zur Verschreibungshäufigkeit in Deutschland ermittelt. Trotz ihres schon seit langem bekannten Nebenwirkungsspektrums stellten die Fluorchinolone 2015 mit knapp 5,9 Millionen verordneten Arzneimittelpackungen die viertgrößte Gruppe der Antibiotika dar, die von niedergelassenen Ärzten verordnet wurden. Das entspricht 16,4 Prozent der insgesamt rund 38 Millionen Antibiotikaverordnungen. In ganzen Zahlen ausgedrückt: Vier Millionen GKV-Versicherte haben nach Wido-Hochrechnungen diese Antibiotika im Jahr 2015 verschrieben bekommen. Der Wirkstoff Ciprofloxacin war mit 63 Prozent am häufigsten vertreten. Zwei Drittel der Rezepte werden demnach von Hausärzten ausgestellt – ein Indiz dafür, dass es oft eben nicht um lebendbedrohliche Erkrankungen geht
Bei Bagatellinfekten Alternativen verwenden
„Angesichts der möglichen schwerwiegenden und langandauernden Nebenwirkungen sollten diese Reserveantibiotika nur nach gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung durch den Arzt eingesetzt werden", meint Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Das Ausmaß der Verordnungen bei den niedergelassenen Ärzten lasse aber darauf schließen, dass Fluorchinolone nicht ausschließlich bei schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kämen. „Leider werden sie in der Praxis häufig auch bei Bagatellerkrankungen wie unkomplizierten Harnwegsinfekten oder Bronchitis und Sinusitis ambulant verordnet“, kritisiert Schröder.
Das Wido appelliert deshalb an Ärzte, Fluorchinolone als Reservesubstanzen zurückhaltend einzusetzen und älteren und langjährig erprobten, aber dennoch gut wirksamen Substanzen den Vorzug zu geben. Bei vielen Indikationen sei das machbar. „Hier besteht Aufklärungsbedarf sowohl in Richtung Patienten als auch der Ärzteschaft“, betont Schröder. Dies sei zudem auch wegen der fortschreitenden Resistenzentwicklung dringend geboten.
Allein in der EU sterben jährlich etwa 25.000 Menschen an den Folgen einer von resistenten Bakterien ausgelösten Infektion.