Wie sicher sind Narkosen in Deutschland?
Eine Studie – zwei Interpretationsmöglichkeiten. Für die einen sind 7,3 schwere Zwischenfälle pro einer Million Narkosen niedrig und ein Beweis für die hohe Narkosesicherheit in Deutschland. Für die anderen ist jeder Zwischenfall einer zu viel und ein Hinweis darauf, dass Narkosen weiterhin nur unter schärfster ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden dürfen.
Die Zahl der Komplikationen ist das Ergebnis einer der größten Untersuchungen zu Kollateralschäden in der Anästhesie. Durchgeführt wurde die Studie gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA). Anfang Mai 2014 wurde sie im British Journal of Anaesthesia veröffentlicht.
Risiko durch Narkosen nicht zu vernachlässigen
Für die Studie wurden rund 1,36 Millionen in Deutschland durgeführte Narkosen untersucht. Bei 36 Patienten traten Komplikationen auf, die als „Tod oder bleibender Dauerschaden“ bezeichnet wurden. In zehn Fällen wurden diese Zwischenfälle eindeutig als Folge der Anästhesie erkannt. Umgerechnet heißt das, dass es bei mindestens einem von 140.000 Patienten zu einem schweren oder sogar tödlichen Zwischenfall kommt, der auf die Anästhesie zurückzuführen ist. In neunzig Prozent handelt es sich um Intubationsschäden, also um Komplikationen bei der Einführung des Beatmungsschlauchs in die Luftröhre.
Beachtet werden muss allerdings, dass es sich hierbei nur um die Kollateralschäden handelt, die freiwillig über ein webbasiertes Fehlermeldesystem angegeben wurden. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Dennoch erklärt DGAI-Generalsekretär Hugo Van Aken: „Die Patientensicherheit bei Narkosen in Deutschland ist, verglichen mit anderen Ländern, sehr hoch.“ Der Grund dafür seien die zahlreichen Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern und zur Verbesserung der Narkosesicherheit, wie beispielsweise die internetbasierten „Critical Incident Reporting Systems“ (CIRS), in denen die freiwillig und anonym mitgeteilten kritischen Ereignisse analysiert und als Lehrmaterial aufbereitet werden.
Dennoch ist die Anzahl der schweren, zum Teil tödlichen Zwischenfälle in den Augen vieler Experten immer noch zu hoch. Auch van Aken sieht darin eine Mahnung und erklärt: „Nach wie vor besteht ein nicht zu vernachlässigendes Risiko für schwerwiegende Komplikationen auch bei ansonsten unproblematischen Operationen.“
Narkosen durch Pflegepersonal?
Besonders brisant sind die Ergebnisse der Studie auch in Hinsicht auf die Pläne von einigen Gesundheitspolitikern. Seit mehreren Jahren gibt es Überlegungen, bestimmte, eigentlich den Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten an (natürlich geschultes) Klinikpersonal abzugeben. Im Koalitionsvertrag der großen Koalition heißt es etwa: „Modellvorhaben zur Erprobung neuer Formen der Substitution ärztlicher Leistungen sollen aufgelegt und evaluiert werden. Je nach Ergebnis werden sie in die Regelversorgung überführt.“
Dass unter diese Leistungen möglicherweise wie in manchen Nachbarländern Deutschlands auch die Betäubung von Patienten gehören könnte – jedenfalls bei vermeintlich unproblematischen Operationen – ist für Narkoseärzte eine Bedrohung der Patientensicherheit. Sie warnen davor – gerade im Hinblick auf die Alterung der Bevölkerung und vermehrter Eingriffe mit zunehmenden Risikofaktoren –, eine weitergehende Substitution von ärztlichen Leistungen in der Anästhesie durch nicht ärztliches Personal zu betreiben. Eine Narkose, so der dringende Appell der Anästhesisten, sollte nicht zu einer unkomplizierten Routinebehandlung abgewertet werden.
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