Todkrank vom Fliegen: Lymphozytäre Herzmuskelentzündung in drei Fällen bestätigt
Das aerotoxische Syndrom gibt es laut Luftfahrtindustrie nicht. Erstaunlich bloß, dass nach so genannten „Fume Events“ an Bord einige Besatzungsmitglieder und Passagiere diverse neurologische und kognitive Ausfallerscheinungen erleiden. Manche leiden für den Rest ihres Lebens daran und werden berufsunfähig. Mit Hyperventilation, wie es Airlines und Flugzeughersteller gerne herunterspielen, lässt sich das kaum erklären. Wohl schon eher mit kontaminierter Kabinenluft, wie zahlreiche dokumentierte Fälle nahelegen.
Besonders pikant wird die Sache durch einen am Mittwoch in Berlin vorgestellten Obduktionsbericht aus der Feder des forensischen Pathologen Dr. Frank van de Goot. Laut dem Bericht starb der British Airways Flugbegleiter Warren Brady (46) an einer lymphozytären Herzmuskelentzündung; ein Phänomen das entweder im Rahmen von Infektionen oder Autoimmunerkrankungen auftritt - oder eben durch eine Vergiftung. In medizinischen Lehrbüchern ist der Zusammenhang zwischen Myokarditiden, wie Herzmuskelentzündungen im Fachjargon heißen, und toxischen Substanzen hinreichend beschrieben. „Das Herzgewebe von Brady war mit einer hohen Anzahl von T-Lymphozyten durchsetzt“, heißt es in dem jetzt öffentlich gewordenen Bericht. Dies habe bei dem ansonsten herzgesunden Steward den Herzmuskel geschwächt und schließlich zum Herzstillstand geführt.
Toxische Substanzen können lymphozytäre Herzmuskelentzündung auslösen
Brady war am 22. Juni 2014 auf einem British Airways Flug in einer Boeing 747 von Sao Paulo in Brasilien nach London Heathrow verstorben. Die neuen Erkenntnisse zu dem spektakulären Fall wurden zeitgleich mit der Premiere des Dokumentarfilms „Ungefiltert eingeatmet – Die Wahrheit über das toxische Syndrom“ auf einer Presskonferenz präsentiert. Wie die eindrucksvoll recherchierte Dokumentation von dem Luftfahrtexperten und Journalisten Tim van Breveren zeigt, war Brady nicht das einzige Todesopfer, das im Zusammenhang mit dem aerotoxischen Syndrom steht: Bereits im Dezember 2012 war der British Airways Pilot Richard Westgate (43) gestorben, im März 2014 der 34 Jahre alte Flugbegleiter Matthew Bass.
Beide starben laut Obduktion ebenfalls an einer lymphozytären Herzmuskelentzündung. „Angesichts der Tatsache, dass dies der dritte Fall ist, bei dem eine lymphozytäre Herzmuskelentzündung festgestellt wurde und angesichts der Tatsache, dass alle drei Verstorbenen Flugbesatzungsmitglieder waren, ist dies eine äußerst ernstzunehmende Angelegenheit“, betonte der niederländische Flugarzt Dr. Michel Mulder am Mittwoch in Berlin. Mulder war neben van der Goot und dem britischen Arzt Professor Jeremy Ramsden an der Untersuchung der Todesumstände beteiligt.
Beweislage für das Aerotoxisches Syndrom ist erdrückend
Die mit der Autopsie befassten Pathologen, behandelnden Ärzte sowie viele andere Experten, die in van Beverens Dokumentation zu Wort kommen, sind überzeugt, dass die drei Todesfälle auf das aerotoxische Syndrom zurückzuführen sind, genau wie Tausende bekannt gewordene Krankheitsfälle. Auch die Pilotenvereinigung „Cockpit“ warnt seit Jahren vor gefährlichen Öldämpfen in der Kabinenluft und fordert, endlich Filter einzubauen. „Wenn Menschen gesund in den Flieger einsteigen und ihn krank wieder verlassen, ist das ein klarer Beweis, dass das aerotoxische Syndrom kein Hirngespinst ist“, erklärte Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg am Mittwoch. Doch die Luftfahrtindustrie weigere sich, das anzuerkennen, obwohl Fume Events nachweislich an der Tagesordnung stünden. „Hier geht das wirtschaftliche Interesse über die Moral, so Handwerg.
Sammelklage in England könnte Luftfahrtindustrie in Bedrängnis bringen
Der schottische Rechtsanwalt Frank Cannon, der bereits die Interessen des verstorbenen Piloten Richard Westgate vertreten hat, bereitet in England nun eine Sammelklage vor. 40 Betroffene Besatzungsmitglieder und Passagiere haben ihn beauftragt, den Nachweis zu führen, dass sie am aerotoxischen Syndrom erkrankt sind. Cannon zufolge könnten es bald Hunderte werden. Gelingt es Cannon, das Gericht zu überzeugen, kämen riesige Schadensersatzforderungen auf die Luftfahrtindustrie zu.
Dokumentarfilmer van Breveren erhofft sich von der Sammelklage indes eine Gesetzesänderung, die die Industrie zu einer technischen Umrüstung ihrer Flugzeuge zwingen würde. Dann gingen die Kosten sogar in Milliardenhöhe. Bis dahin wird die Kabinenluft jedoch weiter von den Turbinen abgezapft und von ahnungslosen Passagieren „ungefiltert eingeatmet.“
Foto: © Maridav - Fotolia.com