Sehstörungen bekannte Nebenwirkung von Psychopharmaka
Wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Montag mitteilte, war der Co-Pilot der abgestürzten Germanwings-Maschine bis zuletzt bei Psychiatern und Neurologen in Behandlung. Bevor er den Pilotenschein erlangte, soll er über einen längeren Zeitraum in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sein - mit vermerkter Suizidalität. Im Folgezeitraum seien Andreas L. aber weder Suizidalität noch Fremdaggressivität von seinen Ärzten attestiert worden, betonte Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück. Hinweise auf organische Erkrankungen hat die Staatsanwaltschaft indes bislang nicht finden können.
Die Ermittler haben inzwischen mehrere Krankenakten gesichtet und in der Wohnung des Piloten neben diversen Krankschreibungen auch zahlreiche ungeöffnete Psychopharmaka gefunden, die nahe legen, dass er er die Medikamente abgesetzt hatte.
Psychosomatische Sehstörungen deuten auf unerwünschte Nebenwirkung hin
Medien berichten unterdessen, Andreas L. habe an massiven Sehstörungen gelitten. Laut BILD am Sonntag hat ihm sogar eine Netzhautablösung gedroht, die unbehandelt zur Erblindung führen kann. Damit hätte der begeisterte Flieger wohl nicht den nächsten Medizin-Check im Juni bestanden, spekulierte das Blatt. Laut BILD soll Lubitz an der Uniklinik Düsseldorf wegen seiner Sehstörungen untersucht worden sein. Doch die Ärzte hätten keine organische Ursache feststellen können. „Deshalb vermuteten die Mediziner einen psychosomatischen Grund für das scheinbare Augenleiden“, schreibt das Blatt.
Schnelles Absetzen der Medikamente kann zu Wesensveränderungen führen
Sehstörungen gehören zu den bekannten Nebenwirkungen von vielen Psychopharmaka, darunter auch Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). „Medikamente können nicht nur Symptome deckeln und Heilung bringen, sondern viel Schlimmeres verursachen, vor allem bei hohen Dosierungen und häufigen Wechseln“, warnt Dr. Peter Ansari vom pharmakritischen Blog „Depression-Heute.de“. Der Depressionsforscher hält es nicht nur für denkbar, dass Psychopharmaka bei dem Piloten Sehstörungen ausgelöst haben, sondern auch seine psychischen Probleme verschlimmert haben könnten. „Vermutlich bemerkte Andreas L., dass ihm die Tabletten nicht helfen und beschloss, sie nicht weiter einzunehmen. Es ist allgemein bekannt, dass in solchen Fällen schwere Wesensveränderungen auftreten können“, sagt Ansari, der an der Medizinischen Hochschule Hannover über die medikamentöse Therapie von Depression promoviert hat. Psychiatrische Medikamente dürften daher niemals von heute auf morgen abgesetzt werden.
Kritik am laxen Umgang mit Psychopharmaka
Ob Andreas L. von seinen Ärzten vor den Folgen gewarnt wurde und ob er überhaupt Psychopharmaka eingenommen hat, ist bislang nicht bekannt. Die Verschreibungspraxis in Deutschland legt jedoch die Vermutung nahe. Laut einer Erhebung der AOK hat sich allein die Zahl der verordneten SSRI-Tagesdosen in den vergangenen 20 Jahren fast verfünffacht; ein Drittel bekommt diese Medikamente sogar ohne Depressionsdiagnose verschrieben.
Der Chefarzt der Psychiatrie der Schlosspark-Klinik Berlin und Vertreter Deutschen der Arzneimittelkommission, Professor Tom Bschor, sieht den laxen Umgang mit Antidepressiva kritisch. „Ärzte verschreiben Serotonin-Wiederaufnahmehemmer teilweise zu oft und zu schnell“, sagte er der Apotheken-Umschau. Insbesondere bei leichten Depressionen werde zu selten auf medikamentenfreie Alternativen gesetzt. Auch Depressionsexperte Ansari findet, dass Ärzte viel zu häufig den Rezeptblock zücken. „Selbst in Hausarztpraxen werden Psychopharmaka wie Smarties verteilt.“
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