Schlafentzug erzeugt Chaos im Gehirn
Eine durchgemachte Nacht kann unsere Gehirn ganz schön durcheinanderbringen. Dass ein 24-stündiger Schlafentzug bereits Schizophrenie ähnliche Symptome bei gesunden Menschen hervorrufen kann, haben ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn und des King’s College London herausgefunden. „Uns war klar, dass es nach einer durchwachten Nacht zu Beeinträchtigungen des Konzentrationsvermögens kommt“, sagt Prof. Dr. Ulrich Ettinger vom Institut für Psychologie der Universität Bonn. „Wir waren aber überrascht, wie ausgeprägt und wie breit das Spektrum der Schizophrenie ähnlichen Symptome war.“
In ihren Experimenten wurden 24 gesunde Männer und Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren ins Schlaflabor geschickt. In einem ersten Durchgang sollten die Testpersonen ganz normal im Labor durchschlafen. Eine Woche später wurden sie die ganze Nacht über mit Filmen, Gesprächen, Spielen und kurzen Spaziergängen wachgehalten. Am nächsten Morgen wurden die Probanden jeweils zu ihren Eindrücken befragt. Außerdem führten die Wissenschaftler eine Messung der Filterfunktion des Gehirns, eine so genannte Präpulsinhibition durch. „Die Präpulsinhibition zeigt eine bedeutende Funktion des Gehirns: Filter trennen Wichtiges von Unwichtigem und beugen einer Reizüberflutung vor“, sagt Erstautorin der Studie Dr. Nadine Petrovsky.
Schlafentzug: Gehirn kann Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden
Bei den Probanden war diese Filterleistung des Gehirns nach einer durchwachten Nacht stark reduziert. „Es kam zu ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefiziten, wie sie auch typischerweise bei einer Schizophrenie auftreten“, berichtet Prof. Ettinger. „Die unselektierte Informationsflut führte zu einem Chaos im Gehirn.“ Nach dem Schlafentzug gaben die Probanden zudem in Fragebögen an, etwa sensibler für Licht, Farbe oder Helligkeit zu sein. Zeitgefühl und Geruchssinn waren demnach verändert, die Gedanken sprangen. Manche Übernächtigen hatten sogar den Eindruck, Gedanken lesen zu können oder eine veränderte Körperwahrnehmung zu bemerken. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Symptome nach einer durchwachten Nacht so ausgeprägt sein können“, sagt der Psychologe der Universität Bonn. Bleibende Schäden hätten die Probanden durch den Schlafentzug nicht zu befürchten. „Nach einem ausgiebigen Erholungsschlaf sind die Symptome wieder verschwunden“, so Psychologin Petrovsky.
Modell für die Entwicklung von neuen Medikamente gegen Psychosen
Die Ergebnisse der Studie sind im Fachmagazin „The Journal of Neuroscience“ erschienen. Was die Erkenntnisse bringen? Sie könnten zur Erforschung von Medikamenten gegen Psychosen dienen, meinen die Wissenschaftler. Außerdem könnten die Erkenntnisse relevant sein für Menschen, die nachts arbeiten müssen. Hier gelte es die Zusammenhänge näher zu untersuchen. Untersucht werden soll auch, ob bei „Nachtarbeitern“ die Symptome des Schlafentzugs durch Gewöhnung allmählich schwächer werden.
Foto: Dr. Nadine Petrovsky und Prof. Dr. Ulrich Ettinger vom Institut für Psychologie der Universität Bonn bestimmen bei einem Probanden (Mitte) mit der Präpulsinhibition die Filterfunktion des Gehirns. (c) Foto: Volker Lannert/Uni Bonn