Neurowoche: Operation kann Kinder von schwerer Epilepsie befreien
In Deutschland könnten wesentlich mehr Kinder mit einer schweren, chronischen Epilepsie von einem hirnchirurgischen Eingriff profitieren, wenn medikamentöse Therapien versagen. Doch offenbar wissen zu wenige Eltern und Ärzte von den hirnchirurgischen Möglichkeiten. Das jedenfalls war am Dienstag auf der Neurowoche 2014 in München zu hören, wo auch die kindliche Epilepsie eines der ganz großen Themen ist. Spezialisten aus Neurologie, Neurochirurgie und Kinderneurologie tagen dort noch bis Freitag. „Das Entfernen von epilepsieerzeugenden Fehlbildungen im Gehirn oder sogar das Abtrennen einer ganzen Gehirnhälfte wird oft zu spät und insgesamt zu selten durchgeführt“, erklärte der Tagungspräsident und Neuropädiater Professor Martin Staudt am Dienstag. Dabei bedeute ein hirnchirurgischer Eingriff bei einigen Kindern mit einer schweren Epilepsie den Beginn einer normalen Entwicklung und damit eines normalen Lebens.
Weit mehr als die Hälfte der Kinder bleibt nach der OP anfallsfrei
Wiederkehrende schwere epileptische Anfälle können – abgesehen von dramatischen Einschränkungen im Alltag – die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen und bis hin zu kognitiven Defiziten führen. Ärzte versuchen daher die Zahl und das Ausmaß der Anfälle möglichst gering zu halten oder gar zu stoppen. Wenn das medikamentös nicht gelingt, kann der hirnchirurgische Eingriff ein vielversprechender Ausweg sein, vorausgesetzt die Epilepsie wird nachweislich durch eine Fehlbildung im Gehirn, eine Narbe oder einen Tumor ausgelöst. Genetische Ursachen sind hingegen keine Indikation für die OP.
Den Experten zufolge haben 50 bis 90 Prozent der Kinder nach dem chirurgischen Eingriff keine epileptischen Anfälle mehr. Und auch das epileptische Störfeuer, das die gesunden Hirnteile in ihrer Entwicklung massiv stört, kann durch den Eingriff gestoppt werden. Schließlich wurde ja die Ursache der Epilepsie chirurgisch beseitigt. „Unser Ziel ist, dass die Kinder ein möglichst normales Leben führen können“, erklärte Kinderneurologe Staudt in München. „An ausgewiesenen Zentren können wir dies mit der Chirurgie in vielen Fällen erreichen.“
Epilepsie-Chirurgie packt die Ursachen am Schopf
Aufschluss, ob ein Kind für einen hirnchirurgischen Eingriff in Frage kommt, liefern MRT-Bilder. Hiermit lassen sich anfallsauslösende Veränderungen im Gehirn nachweisen. Bei dem Eingriff entfernen dann (Kinder-) Neurochirurgen die epilepsieauslösenden Fehlbildungen, Narben oder Tumoren, manchmal wird sogar die gesamte epileptogene Gehirnhälfte abgetrennt. Staudt: „Faszinierend ist, dass mit diesem gravierenden Eingriff oft keine neuen Funktionsausfälle verbunden sind. Denn das kindliche Gehirn hat eine ausgeprägte Neuroplastizität und häufig hat es viele Funktionen bereits vor der Operation in die gesunde Hemisphäre verlagert.“
Trotz dieser guten Ergebnisse würden immer noch viele Kinder viel zu spät in ein Epilepsiezentrum mit chirurgischer Expertise überwiesen, bemängelten Staudt und seine neuropädiatrischen Kollegen. „Wohl aus Unkenntnis über die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei pharmako-refraktären kindlichen Epilepsien“, so ihre Vermutung.
Insgesamt ist ein hirnchirurgischer Eingriff allerdings nur für relativ wenige Kinder mit Epilepsie eine tatsächliche Behandlungsoption. 70 Prozent lassen sich inzwischen mit Medikamenten gut behandeln.
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