Neue Chancen bei inoperablem Hirntumor

Wichtige Entscheidungshilfe für Arzt und Patient: Die nTMS der Charité kartiert die Hirnareale millimetergenau. Das schafft kein anderes Verfahren
Als wäre die Diagnose Hirntumor nicht schon niederschmetternd genug. Liegt der Tumor zu dicht oder gar inmitten wichtiger Funktionsareale, gilt er auch noch als inoperabel. Die Gefahr, dass Funktionen wie Bewegung oder Sprechen Schaden nehmen, wäre bei einem chirurgischen Eingriff zu groß. Doch um zu bestimmen, wie dicht eigentlich zu dicht ist, braucht es eine exakte Messung schon vor der OP. Und die kann der augenblickliche OP-Planungs-Standard, ein funktionelles MRT, nicht wirklich liefern. Experten schätzen, dass jedes Jahr mehrere Hundert Patienten in Deutschland mit einem bösartigen Gliom unverrichteter Dinge wieder nachhause gehen – obwohl sie eigentlich von einer Operation profitieren würden.
Funktionsdiagnostik wurde an der Charité entwickelt
Dabei geht es auch anders. An der Neurochirurgischen Klinik der Charité und zehn weiteren universitären Zentren in Deutschland nutzt man inzwischen eine präoperative Diagnostikmethode, mit der sich das Operationsrisiko sehr genau vorhersagen lässt. Anders als beim funktionellen MRT wird bei der navigierten transkraniellen Magnetstimulation – kurz nTMS – millimetergenau vermessen, in welcher Relation der Tumor zu wichtigen Funktionsarealen liegt. „Die nTMS ist in ihrer Genauigkeit unübertroffen und deshalb eine echte Entscheidungshilfe für uns Ärzte, aber auch für die Patienten“, erläutert TMS-Laborleiter Dr. Thomas Picht von der Neurochirurgischen Klinik der Charité. Der Neurochirurg und TMS-Forscher hatte das Funktionsdiagnostik-Verfahren vor gut zehn Jahren zusammen mit einem Kollegen entdeckt und seither stetig weiterentwickelt.
nTMS ist OP-Planung und Navigationshilfe in Einem
Wie das Ganze funktioniert, wurde bei der 500. Untersuchung am Montag deutlich. Labor-Assistentin Heike Schneider führt über den Kopf des Patienten eine Magnetspule, die regelmäßig winzigste Stromimpulse abgibt. Stimuliert der Stromimpuls beispielsweise gerade die Schaltzentrale für den Zeigefinger, empfindet der Patient dort ein leichtes, nicht schmerzhaftes Zucken. Die beiden nTMS-Spezialisten Schneider und Picht konzentrieren sich unterdessen auf den Bildschirm, wo sich die einzelnen Areale durch farbige Punkte abzeichnen. In weniger als 30 Minuten entsteht so eine aussagekräftige Landkarte des Gehirns, auf der auch die Faserbahnen, also die Nervenverbindungen, gut sichtbar sind. Dort, wo der Tumor liegt, ist glücklicherweise alles Grau. „Der Sicherheitsabstand ist ausreichend groß“, verkündet Heike Schneider das für alle erleichternde Ergebnis.
Der 500. Patient gehört zu jenem Drittel von Gliompatienten, deren Tumor mutmaßlich in kritischen Funktionsrealen liegt. Dank der millimetergenauen Untersuchung ist die Entscheidung nun klar: In wenigen Tagen werden die Neurochirurgen der Charité den Tumor herausoperieren und damit die Prognose des Patienten entscheidend verbessern. Möglicherweise werden die Operateure das „Mapping“ auch während der Operation als Navigationshilfe nutzen. Dazu spielen sie die Bilder einfach in ihr Operationsmikroskop. Und möglicherweise ziehen sie sogar eine supratotale Resektion in Betracht. „Wenn es der Sicherheitsabstand erlaubt, entfernen wir heute so viel umliegendes Gewebe wie möglich, um auch fürs Auge unsichtbare Tumorzellen zu erwischen“, erklärt Thomas Picht den Paradigmenwechsel in der Hirntumortherapie. Dass mit Hilfe der nTMS das Resektionsausmaß verbessert werden konnte und die Komplikationsraten sogar noch zurückgegangen sind, ist für den Neurochirurgen der entscheidende Punkt. Denn: „Je radikaler wir operieren, desto besser die Prognose.“
Bessere Behandlungsergebnisse bei bösartigen Gliomen
Die präzise Kartierung relevanter Hirnareale hat mittlerweile viele Anhänger gefunden. Namhafte Kliniken aus Europa, Japan und den USA nutzen die Berliner Erfindung und konnten mit einem guten Dutzend Studien sogar schon die amerikanische Zulassungsbehörde FDA von den verbesserten Behandlungsergebnissen überzeugen. Bis sich das Verfahren allerdings in der Fläche verbreitet, wird es noch ein Weilchen dauern. Picht ist aber optimistisch, dass sich die navigierte transkranielle Magnetsimulation eines Tages durchsetzen wird: „Die Daten, die wir haben, sind einfach zu gut.“
Foto: Wiebke Peitz - Charité Universitätsmedizin Berlin