Nach tödlichen Schüssen in Steglitz: Charité trauert um hoch geschätzten Kollegen
Nur 20 Minuten dauerte die Pressekonferenz der Charité am Dienstagabend. Dann war alles gesagt, was man zum jetzigen Zeitpunkt über die Bluttat am Klinikum Benjamin Franklin weiß: Demnach wurde der 55-jährige Oberarzt gezielt von einem Patienten getötet, der seit Jahren bei ihm in Behandlung war. Der 72-jährige Mann soll bereits gestern versucht haben, den Arzt zu erreichen, traf ihn aber nicht an. Heute sei er dann gegen 13 Uhr wieder in die Sprechstunde der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie gekommen. Beim Betreten des Behandlungsraums habe er sofort eine Pistole gezogen und mehrere Schüsse auf den Kieferchirurgen abgefeuert. Danach habe sich der Mann selbst erschossen.
Sein Opfer konnte sich wohl noch in einen angrenzenden Büroraum schleppen, wo er dann zusammenbrach. Eine anwesende Kollegin, die die grauenhafte Tat mit ansehen musste, alarmierte sofort Hilfe und steht noch unter Schock. Die anschließende Notoperation konnte den schwerverletzten Arzt nicht retten. Er verstarb noch im OP unter den Augen seiner Kollegen.
Charité richtet Seelsorge-Hotline für schockierte Mitarbeiter ein
Dem Charité-Vorstand war das Entsetzen am Abend noch ins Gesicht geschrieben. „Wir alle, und damit meine ich alle Charité-Mitarbeiter und Patienten, sind zutiefst schockiert und können die Tat nicht verstehen“, sagte Charité-Vorstand Prof. Karl-Max Einhäupl. Es habe sich um einen äußerst geschätzten Kollegen gehandelt, der seit 22 Jahren für die Charité tätig gewesen sei.
Auch der Ärztliche Direktor der Charité Prof. Ulrich Frei, der gleich nach dem Vorfall, ins Steglitzer Klinikum kam, war noch fassungslos. „Wir verlieren einen besonders freundlichen und lieben Kollegen und unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie“, sagte er.
Für die Charité-Mitarbeiter, die unmittelbar vor Ort waren und zum Teil schwer traumatisiert sind, wurde sofort psychologische Hilfe durch Seelsorger organisiert. Außerdem hat die Charité eine interne 24-h-Hotline geschaltet und plant für Mittwoch 16 Uhr ein offene Gesprächsrunde im Konferenzraum Psychiatrie am Steglitzer Klinikum.
Psychiater der Klinik betreuen derweil auch die Familie des getöteten Arztes. Er hinterlässt eine Frau und zwei minderjährige Kinder.
Täter hat wohl eher aus Verzweiflung gehandelt
Ulrich Frei zufolge war der Täter ein Deutscher und seit Jahren wegen einer schweren Erkrankung bei dem Mund-Kiefer-und Gesichtschirurgen in Behandlung. Welche Krankheit das war, wollte der Mediziner aus Schweigepflichtsgründen nicht sagen. Bei einer schweren Krankheit im Mund und Kieferbereich dürfte von einer Krebserkrankung auszugehen sein.
„Wir wissen momentan noch keinerlei Hintergründe zu dieser entsetzlichen Gewalttat“, erklärte der Ärztliche Direktor. Mit hoher Sicherheit sei aber ein Terrorakt auszuschließen. Ob der Patient aus Rachemotiven gehandelt haben könnte, könne er nicht sagen. „Der Mann litt an einer schweren Erkrankung, deshalb scheint es vermutlich eher eine Verzweiflungstat gewesen zu sein“, meinte Frei.
Was die Charité jetzt plant
Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen will die Charité vorerst nicht treffen. „Wir sind ein offenes Haus“, erklärte der Vorstand. Eine Einlasskontrolle wie an Flughäfen sei an einem Universitätsklinikum schlicht nicht vorstellbar.
Die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie nimmt noch den ganzen Mittwoch über keine neue Patienten auf. Notfälle und ambulante Patienten werden an das Virchow Klinikum im Wedding verwiesen.
In der Kapelle am Klinikum Benjamin Franklin soll in Kürze ein Kondolenzbuch ausgelegt werden. Charité-Mitarbeiter sollen die Möglichkeit haben, von ihrem Kollegen Abschied zu nehmen.