Musikerdystonie: Oft ist die Psyche beteiligt
Pianisten, Gitarristen und Violinisten entwickeln manchmal einen Musikerkrampf, die sogenannte Musikerdystonie. Bei dieser lokalen neurologischen Erkrankung streiken oft einzelne Finger. Ein häufiger Auslöser ist das intensive, wiederholte Üben feinster und schneller Abläufe. Diese bei Musikern gefürchtete Musikerdystonie ist offenbar nicht nur auf neurologische Ursachen zurückzuführen, sondern oft auch psychisch bedingt, wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) berichtet. „Es gibt eine psychische Disposition für die Musikerdystonie“, bestätigt auch Professor Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. „Angst, Stress und Selbstzweifel können die Entwicklung dieser Musikerkrankheit schüren.“
Musikerdystonie tritt oft bei hohem Leistungsdruck auf
Insgesamt leiden ein bis zwei Prozent aller Berufsmusiker unter einer Musikerdystonie. Die Ursachen der unter Berufsmusikern gefürchteten Erkrankung sind unklar. Bildgebende Studien deuten darauf hin, dass bei Musikern mit einer Fingerdystonie die Koordination im sensomotorischen Kortex gestört ist – ob als Ursache oder Folge der Erkrankung, ist nicht geklärt. Neueste Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Musikerdystonie eine sehr heterogene Erkrankung ist. „Es gibt zwei Gruppen“, erklärt Altenmüller, „bei der einen hat die Krankheit organische Ursachen, bei der anderen spielt eine labile Psyche die Hauptrolle.“ Die psychische Struktur eines Musikers kann also anfällig für die Musikerdystonie machen.
Mehr als die Hälfte der 600 Musiker, die wegen einer Dystonie die Musikerambulanz in Hannover aufsuchten, litt unter psychischen Symptomen wie Angst, Selbstzweifel und hoher Stressbereitschaft. Diese Musiker haben oft erst spät ein Instrument erlernt, sind Perfektionisten, setzen sich unter hohen Leistungsdruck, haben häufig ein negatives Selbstbild, sind stressanfällig und haben Eltern, die aktiv die Karriere ihres Kindes befördern wollen. „Die Bewegungsstörung ist in diesen Fällen durch Angst getriggert“, erklärt Altenmüller. „Eine Grundaufregung gehört zwar zu einem Bühnenberuf, aber diese hohe Angstbereitschaft ist hinderlich.“
Psychotherapie und Entspannung können helfen
Forscher vermuten, dass die Gruppe der psychisch anfälligen Musiker den Spannungszustand der Muskulatur so im Gehirn einspeichert, dass sie bei langem Üben lokale Fehlspannungen entwickelt, die sich schließlich durch Angst und Stress im Handlungsgedächtnis stabilisieren. Psychisch anfälligen Musikern helfen eine Psychotherapie und gezielte Bewegungsübungen. Dazu zählen beispielsweise die Feldenkrais-Methode, Dispokinese oder die Alexander-Technik. Ärzte schulen die Wahrnehmung der Musiker und machen ihnen Bewegungs- und Haltungsmuster bewusst. So organisiert sich das Gehirn nach und nach um und etabliert neue Strukturen. Auch die Emotionen lassen sich positiv beeinflussen. Entspannungstechniken wie Yoga, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Autogenes Training helfen, die Psyche zu stabilisieren. „Diese Methoden haben eine hohe Akzeptanz unter Musikern“, weiß Altenmüller.
Bei der zweiten Gruppe – den Musikern, bei denen die Erkrankung organisch bedingt ist – hilft eine Psychotherapie dagegen nicht. Diese psychisch stabilen Musiker haben oft Verwandte, die ebenfalls unter einer Dystonie oder unter Morbus Parkinson leiden. „Dies deutet darauf hin, dass die Gene beteiligt sind“, sagt der Neurologe. Diesen Musikern hilft das Bakteriengift Botulinumtoxin A. Es wird lokal injiziert, entspannt die Muskeln und macht den zuvor unkontrollierbaren Finger wieder beweglich. Etwa 20 Prozent der Patienten würden vollständig geheilt, so Altenmüller, und 79 Prozent könnten ihren Beruf als Musiker weiterhin ausüben.
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