Sexueller Missbrauch kommt in den besten Familien vor. Rund 0,8 Prozent aller Straftaten, die zu einer Verurteilung führen, entfallen auf Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung, Exhibitionismus und sexueller Missbrauch von Kindern. Oft stammen die Täter aus der Familie oder dem Bekanntenkreis. Doch dass sie allesamt psychisch gestört sind, das stimmt offenbar nicht. Es sei ein hartnäckiges Vorurteil, dass Sexualstraftäter psychisch krank seien, berichteten Experten am Wochenende auf dem Psychiatriekongress in Berlin.
Vorurteile stigmatisieren psychisch Kranke
„Natürlich möchte die Bevölkerung nach den Delikten wissen, wie es dazu gekommen ist. Doch die These des psychisch kranken Sexualstraftäters greift zu kurz und steht auch für ein falsches Bild von Menschen mit psychischen Erkrankungen“, erklärte Dr. Nahlah Saimeh von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Vielmehr handle es sich bei Sexualstraftätern um eine sehr heterogene Tätergruppe. „Die meisten Delikte werden von psychisch gesunden Tätern begangen“, so der Psychiater.
Auch der Beiratsvorsitzende der DGPPN Prof. Henning Saß rief auf dem Kongress zu einem differenzierten Umgang mit der Thematik auf. „Wer die Sexualstraftäter vorschnell als psychisch krank einstuft, verstärkt dadurch auch die Stigmatisierungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen“ sagte er.
Gleichwohl räumten die Experten ein, dass Sexualstraftaten auch Folge einer psychischen Störung sein können. Dazu gehörten sexuelle Präferenzstörungen, Paraphilien, Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenien oder Psychosen.
Maßregelvollzug bei psychischer Störung
Bevor ein Sexualstraftäter verurteilt wird, müssen Gutachter die psychische Gesundheit anhand eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens beurteilen. Ergibt das Gutachten keinen Hinweis auf eine psychische Erkrankung, verbüßen die Täter ihre Strafe in normalen Gefängnissen, so sie verurteilt werden. Wird eine psychische Erkrankung festgestellt, wird der Täter dagegen in eine Klinik des psychiatrischen Maßregelvollzugs eingewiesen.
„Der Auftrag des Maßregelvollzugs liegt darin, die Patienten durch differenzierte Behandlungsangebote wieder zu einem straffreien, eigenverantwortlichen Leben in Freiheit zu verhelfen“, erläuterte Saß. Die Entlassung erfolge erst dann, wenn Gutachter bei ihnen kein Risiko mehr für erhebliche Straftaten sehen. Gerade bei Sexualstraftätern wurden hier in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, die Rückfallquote ist deutlich gesunken und hat sich auf Einzelfälle verringert, die aber leider zum Teil schwerwiegend waren“, betonte Saß.
Nach einer jüngsten Gesetzesänderung muss spätestens nach sechs und nach zehn Jahren Maßregelvollzug ein erneutes psychiatrisches Gutachten angefertigt werden. Zuvor war die Einweisung unbegrenzt. Dass dadurch wieder etliche Sexualstraftäter auf freien Fuß kommen, hatte in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt.
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